Saemtliche Werke von Jean Paul
hatte er berechtigte Klage zu führen, die ihm nichts half. Wieder mußte er für den Haushalt der verarmten Familie betteln, für Brennmaterial sorgen, Briefe schreiben. Und nur die Möglichkeit, jeden Tag das Bündel zu schnüren und nach Schwarzenbach zu gehen, machte das Leben in Hof für ihn erträglich. Außerdem war die Familie nicht nur durch den Tod Heinrichs kleiner geworden. Bruder Gottlieb war in Naila beim Bezirksamt als Schreiber untergekommen und schickte von Zeit zu Zeit, kraft einer angenehmen Verbindung mit einer Fleischerstochter, ein Stück fettes Schöpsenfleisch. Diese Verbindung blieb übrigens nicht ohne Folgen. Das Taufregister von Naila verzeichnet, während Gottliebs Briefe von einer »Heirat« berichteten, unterm 30. Mai 1791 die Geburt eines »Hurenkindes«. »Mutter: Katharina Hagenin, ledige jüngste Tochter des Fleischhackermeisters etc… . Vater: Johann Gottlieb Richter, Skribent beim hiesigen Vogtei-Amt, ein unwürdiger Pfarrerssohn von Schwarzenbach an der Saal.« Auch der fortgelaufene Bruder Adam befand sich längere Zeit als Barbier in Naila, vielleicht von Gottliebs nahrhafter Verbindung angelockt. Das war das Milieu, unter dem Jean Paul stand, wenn er bei seiner Familie wohnte. Eine heroische Selbstzucht mußte sich als eiserner Panzer um seine Brust legen, um hier nicht zu erliegen.
Ein neuer Freund tauchte in dem Kandidaten Wernlein auf. Er heiratete später eine Schwester der Ottos. Jetzt war er Hauslehrer bei der Familie eines Kaufmanns Herold, deren Töchter in Jean Pauls Leben keine unwichtige Rolle spielen sollten. Amöne Herold wurde für Jahre seine beste Freundin, und mit ihrer jüngeren Schwester Karoline war er sogar eine Zeit hindurch verlobt. Schließlich verheiratete sich Amöne, die geistig Bedeutendste des freundschaftlichen Höfer Zirkels, mit Christian Otto und wurde dadurch auch dem Leben Jean Pauls endgültig eingefügt. Aber dieses vielfache Hin und Her der Herzensbeziehungen spann sich erst allmählich an. Noch lange stand die Freundschaft zu Christian Otto, Hermann und Wernlein, der ihn besonders durch seine philosophischen Kenntnisse und Interessen anzog, völlig im Vordergrund seines Lebens, und der noch immer fortgesetzte briefliche und persönliche Verkehr mit Spangenbergs in Venzka nahm ihn so gefangen, daß er der Freundinnen in Hof erst allmählich gewahr wurde. Er lebte gewissermaßen in zwei ganz voneinander verschiedenen Tonarten. Mit den an ihm hängenden und gleichstrebenden Jünglingen verkehrte er im Stil seiner Satiren mit ihren kühnen Vergleichen und Bildern. Wir können uns vorstellen, daß er hier schon durch seine drastische Ausdrucksweise eine Quelle steter Belebung war. Vielleicht kennzeichnet es ein wenig seinen Gesprächston mit den Freunden, wenn er an Archenholz schreibt: er hätte für seine Kreuzerkomödie das Honorar eines englischen Hengstes für den Gebrauch seines Geschlechts fordern wollen.
Welch andere Töne, wenn er einer der neuen Freundinnen ins Stammbuch schreibt: »Wie einer, der die Sonne untergehen sah, von Hügel zu Hügel klettert, um ihren Untergang noch einmal zu sehen, und wie jede neue Höhe ihm den Untergang wiederholet: so zieht der arme Sterbliche von Hoffnung zu Hoffnung und tritt höher, um von den Freuden, die untergesunken, noch einmal Strahlen ins Angesicht zu bekommen und ihren Untergang weniger zu verschieben als zu verdoppeln. Tritt höher und stoße die Erde zurück: so geht keine Freude und keine Sonne mehr unter, sondern beide stehen. – Diese vierzehn Zeilen habe ich gemacht, nicht um Sie an mich – sondern um mich an Sie zu erinnern, wenn ich in der Abendsonne spazieren gehe und an die Menschen denke, die ihr und ihrem Abschied ähnlich.« – Hier steht der auf den Hügeln der Heimat rings um die Stadt Schweifende vor uns, dem die Natur ringsum mit ihren Bildern zum Abbild seines inneren Lebens wurde oder der die eigenen Qualen und Erhebungen riesengroß in den Kosmos projizierte.
Der Sommer in Hof ging vorüber. Draußen wandelte er auf den Bergen und im Innern auf den »Kettengebirgen der Arbeit«. Von Zeit zu Zeit besuchte er die Venzkaer Freunde. »Denn die Flitterwochen, die ich unter den Karwochen dieses Lebens genieße, bestehen meistens aus Tagen, die ich in Venzka verbracht«, schrieb er an seinen Freund Spangenberg, und es war wohl keine leere Höflichkeit. Der Verkehr in Venzka soll es ja auch gewesen sein, der ihn den alten Zopf wieder anlegen ließ. Es war der Frieden,
Weitere Kostenlose Bücher