Saemtliche Werke von Jean Paul
dem zeitfressenden Unterricht entbunden zu sein und sich wieder ganz seinen Arbeiten widmen zu können. Jedenfalls drängte er nicht fort, und selbst als seine Schwarzenbacher Freunde, Pfarrer Völkel, der inzwischen zum Kommissionsrat avancierte Vogel und, eine neue Erscheinung, Amtsverwalter Clöter, ihm die Erziehung ihrer Kinder in Schwarzenbach antrugen, sagte er zwar zu, verschob aber die Übernahme des Amtes bis zum Frühling des nächsten Jahres. Vielleicht war es der Tod des Bruders, der ihn zum Bleiben bei der Mutter zwang.
Einige Wochen nach der Übersiedelung erschienen die »Teufelspapiere«. Noch in seinem letzten Werk, dem »Komet«, macht sich Jean Paul über die gänzliche Erfolglosigkeit des Buches lustig. Damals aber verwand er den Mißerfolg seines zweiten Werkes nur schwer. Vielleicht war es die Kritik des Pfarrers Vogel in Arzberg, die den Briefwechsel zwischen ihnen fast vier Jahre zum Schweigen brachte. Schon früher hatte ihm, bei Durchsicht der ersten Aufsätze, Vogel den Rat gegeben: »Schreiben Sie lieber einen philosophisch pädagogischen Roman, oder etwas über die Religionen in der Welt; das bringt Ihnen Beifall auf Erden und eine Stelle neben Rousseau im Himmel«, und er hatte sich der Kritik Gleims über die »Grönländischen Prozesse« angeschlossen: Sie wären so voll Witz, daß man vor Witz möchte des Teufels werden. An den »Teufelspapieren« tadelte Vogel ihre Schwerverständlichkeit. Und zur gleichen Zeit riet Archenholz, dem die »Baierische Kreuzerkomödie« überschickt war, lieber einen Roman zu schreiben. Wie aber konnte sich Jean Paul, der kaum mit kleinen Aufsätzen fertig zu werden glaubte, vermessen, eine ganze Welt aus sich herauszustellen! Von neuem ging er daran, sein Handwerkszeug zu überprüfen und zu verbessern. Damals entstanden die später so oft berufenen Hefte, die von tausend Aufzeichnungen wimmelten und die höchste Meisterschaft der Sprachbehandlung anstrebten, von der Jean Paul sich noch immer weit entfernt glaubte. »Kettengebirge der Arbeit« stiegen vor seinen Augen auf. Das Leipziger »Andachtsbüchlein« wurde fortgesetzt mit einem Buch, dem er den Titel »Studierreglement« gab. »Lebensregeln«, »Lebensmarschroute«, »Observante« steht über den einzelnen Heften, in denen er sich strenge Vorschriften über die Einteilung, die Diät seines Tages und eine Art zu übender Selbstdisziplinierung machte. Was immer ihm einfiel, wurde von nun an eingezeichnet, einer Anregung von Herders »Humanitätsbriefen« folgend. »Gedanken«, »Bemerkungen über uns närrische Menschen«, »Satiren«, »Ironieen«, »Launen«, »Torheiten«. Zu allen diesen Heften, die durch Fülle bald unübersichtlich wurden, mußten Inhaltsverzeichnisse angelegt werden. Das Hauptgewicht lag auf einem synonymen Wörterbuch, dem »Mitwörterbuch«. Allein für »Besser werden« fand er darin gegen 40 verschiedene Ausdrücke, für »Verschlimmerung« gar 184, für »Sterben« 200. Auf den genauesten charakteristischen Ausdruck arbeitete er ständig hin. Seine Sprache pflügt sich wie in schwerem Boden durch das Land. Hinter dem kleinsten Satz steht eine Fülle von Assoziationen, die alle aufs feinste ausgewogen sind. Vielleicht war es die Arbeit an dieser Technik der Sprache, die ihn trotz des verführerischen Angebots der Schwarzenbacher so lange in Hof zurückhielt. Denn alles bei ihm war dem Gedanken, ein großer Dichter zu werden, untergeordnet, und immer blieb ihm im Grunde etwas von der Anschauung des Rationalismus über die Lehr und Lernbarkeit der Kunst. Nicht daß mangelnde Begabung ersetzt werden oder Dichtung nach seiner Anschauung des großen Menschen entbehren könnte, aber die Technik war trotz aller Begabung nach seiner Anschauung immer zu erweitern. Was wie ein Zeitresiduum erscheint, war in Wahrheit die Tradition einer großen Kultur, die ihn weiter trug als jeden anderen. Kein Dichter seiner ganzen Epoche, der sich – vielleicht Hölderlin ausgenommen – an Beherrschung der Sprache mit ihm hätte vergleichen können.
Auf einer höheren Ebene stand er, als ihn das alte Höfer Leben wieder umfing. Zwar äußerlich war nichts gebessert. Er war noch immer »der Kandidat Richter«, den man wohl im allgemeinen für einen verbummelten Studenten ansah. Empfindlich war, daß nicht nur das Honorar für die »Teufelspapiere« sehr klein ausfiel, sondern von Beckmann auch noch in einer minderwertigen Münze bezahlt wurde. Hierüber und über die Fülle von Druckfehlern
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