Saemtliche Werke von Jean Paul
zahlreichen Gestalten seiner Romane nach, noch zu einer Zeit, da er sonst jeden französischen Einfluß bereits bewußt überwunden hatte. Eine Szene aus dem Leben des zerstreuten Amtsvogts besonders hat Jean Paul bis ans Ende für besonders gelungen gehalten, und noch in der »Vorschule der Ästhetik« bekennt er, sie nicht lesen zu können, ohne sich vor Lachen zu schütteln, wie er bei ihrer Ausarbeitung vor Lachen kaum fortschreiben konnte. Es ist die Szene, in der Freudel auf der Kanzel bei seiner Probepredigt während des stillen Vaterunsers ganz seine Predigt und die andächtigen Zuhörer vergißt, in tiefes Nachdenken versinkt, und als er seiner Vergeßlichkeit endlich inne wird, sich von der Kanzel herunterschleicht und nur die Perücke auf dem Betpult liegen läßt, so daß die Gemeinde immer noch fort glauben muß, er knie im Gebet, bis endlich der Küster, als es allzulange gedauert, hinaufkommt und dem Publikum die im Stich gelassene Perücke vorweisen muß.
Für solche komischen Szenen hat Jean Paul zeitlebens viel übriggehabt. Diese Vorliebe stammte aus seiner Beschäftigung mit der englischen Literatur in seinen entscheidenden Jahren. Stets hielt er eine Menge von derartigen Entwürfen bereit, um sie im gegebenen Fall anzuwenden. Aber im Tiefsten lockten ihn doch ganz andere Ziele. Je ernster er das Leben anschaute, aus je tieferen Erlebnissen seine Dichtung ihre Kraft gewann, um so mehr zog es ihn zur Darstellung und Verklärung dieses im Weltenraum verlorenen menschlichen Daseins. Der Klang des Herzens, der ihn aus seinen Satiren in die Welt seiner Romane geführt hatte, er drang auch in seine kleineren Arbeiten ein. Immer mehr gewannen sie die Atmosphäre jener Rede des toten Christus, die am Beginn dieser neuen Periode seines Schaffens steht. Der Ausarbeitung seines ersten Romans immer noch ausweichend in jene kleineren Satiren und Humoresken, neigte er doch mehr und mehr auch hier zu dem heiligen Ernst, der seit der Todesnacht im November 1790 von seinem Wesen Besitz ergriffen hatte.
Am 3. Januar 1791 übersandte er Renate Wirth einen Neujahrsgruß, dem er die Gestalt eines Traumes gab. »Ehe der Schöpfer die Seele der R — a, mit dem Körper umlaubt, auf die Erde ziehen hieß, traten die zwei Genien vor den Schöpfer, die verborgen um jeden Menschen fliegen«; der schwarze Genius mit dem seelenmörderischen Auge, der sie mit den Nichtigkeiten des Lebens verführen will. Und der gute Genius, der sie beschützen will. Er kniet vor Gott nieder: »Umblüme und umkränze die schöne Seele mit einem schönen Körper: unbesudelt soll einmal diese Hülle von ihr fallen – gib ihr ein großes Auge: die Falschheit soll es nicht verdrehen – leg’ ein weiches Herz in ihren Busen: es soll nicht zerfallen, eh es für die Natur und Tugend geschlagen.« Es siegt der gute Genius, und sie fliegen miteinander auf die Erde nieder, gehasset und begleitet vom bösen Genius. – »O du, für die ich dieses schrieb, denk’ an mich und an dieses Blatt – und wenn einmal meine Stimme, über der Erde entfernt oder unter ihr verstummt, nicht mehr zu dir reicht: so höre sie auf diesem Blatte – und wenn einmal mein fortgewandertes oder ausgemodertes Auge nicht mehr sieht, ob du glücklich bist: so werde nie unglücklich.« Zu einem neuen Werke war in diesem Neujahrsschreiben der Grund gelegt. Es enthielt den Keim zu der Vorrede zur zweiten Auflage des »Quintus Fixlein«, und zwar im besonderen Sinne zu der in dieser Vorrede mitgeteilten Erzählung »Die Mondfinsternis«.
Jean Paul hat diese Vorrede erst im August 1796 geschrieben, als er aus Weimar zurückkehrte. Sie enthält die große Auseinandersetzung mit Goethe und der Frühromantik, aus der dann der endgültige Plan des »Titan« herauswachsen sollte. Es mag wohl auch der Einfluß Herders gewesen sein, der in den dem »Quintus Fixlein« beigegebenen Erzählungen fortwirkte. An Karoline Herder hatte er ja einst seine erste Erzählung dieser Art, »Was der Tod ist«, geschickt, und sie war als die erste deutsche Frau von dieser Seite des Jean Paulschen Schaffens im Tiefsten ergriffen worden. Aber diese Beigaben zum »Quintus Fixlein« und dieser selbst, obwohl erst Januar 1795 beendet, tragen doch die Stimmung der Zeit weiter, da Jean Paul am »Wuz« arbeitete und der tiefe Gehalt der »Unsichtbaren Loge« sich herausschälte. Wenn er später die genannte Vorrede in die poetische Erzählung »Die Mondfinsternis« ausklingen lassen wollte, so brauchte er
Weitere Kostenlose Bücher