Saemtliche Werke von Jean Paul
ist grenzenlos, daß er sie sehen und schüchtern um sie herumgehen wird. Wuz wäre Primaner geworden und hätte durch eine große akademische Laufbahn als erster die Reihe der Wuze durchbrochen, die seit undenklichen Zeiten als Schulmeister in Auenthal sitzen, wenn der Vater nicht plötzlich gestorben wäre. Der Patron wollte zunächst seinem Koch die Stelle geben, aber er fand keinen Nachfolger – für den Koch, und so fiel die Wahl auf den kleinen Wuz. Er besteht das Examen vor dem Superintendenten aufs beste, kann das griechische Vaterunser herbeten und hernach das lateinische Symbolum Athanasii . Am 13. Mai geht er als Alumnus aus dem Alumneum heraus und als öffentlicher Lehrer in sein Haus hinein, und am 9. Julius wird er Justel als Lehrersfrau heimführen. Acht elysäische Wochen vor der Hochzeit. »Bloß für das Meisterlein funkelte der ganze niedergetauete Himmel auf gestirnten Auen der Erde.« Hochwichtige Zwischenstationen teilen die Zeit bedeutend ein und verlängern das Glück des Wartens. Am 29. Mai fungiert er zum erstenmal bei einer Kindtaufe und darf eine stattliche Summe von mehreren Kreuzern in sein Einnahmebuch eintragen. »Es ist mein saurer Schweiß«, sagt er eine halbe Stunde nach dem Aktus und trinkt vom Gelde zur ungewöhnlichen Stunde ein Nößel Bier. Das Herrlichste aber ist der Sonntag, »der in einer Glorie brennt, die kaum auf ein Altarblatt geht«. Unter tausend Menschen allein zu orgeln, ein wahres Erbamt zu versehen und den geistlichen Krönungsmantel dem Senior überzuhängen! Das Allerherrlichste aber sind die Vorbereitungen zur Hochzeit. Er selbst tut alles und jedes, schleppt aus dem Pfarrhaus vier geborgte Sessel herbei, das zinnerne Tafelservice, bei dem die Salatiere, die Sauciere, die Assiette zu Käse und die Senfdose ein einziger Teller sind, der vor jeder Rolle abgescheuert werden wird. Er spült mit Wasserschwällen jeden Bettpfosten und den Fensterstock, rupft Hühner und Enten, spaltet Kaffee und Bratenholz und die Braten selbst in der blauen Schürze seiner Schwiegermutter, die Haare in Papilloten eingeflochten und den Zopf wie ein Eichhornschwänzchen emporgebunden, ist überall und vorn und hinten: »denn ich mache nicht alle Sonntage Hochzeit«. In der Nacht wacht er siebenmal auf, um sich siebenmal auf den Tag zu freuen, und steht zwei Stunden zu früh auf, »um beide Minute für Minute aufzuessen«. Und als sich endlich im vollen Putz die Brautleute gegenüberstehen, stoßen sie da nicht so »möbliert und überpudert auf einander, daß sie nicht das Herz haben, sich Guten Morgen zu bieten? Denn haben beide in ihrem Leben etwas prächtigeres und vornehmeres gesehen als sich einander heute?« Die Hochzeitsgesellschaft erscheint: Die Seniorin nieset und hustet der Dorf-La-Bonne die neuesten Personalien vor. Der Senior sieht aus wie ein Schoßjünger des Schoßjüngers Johannes. Der Präfekt schießet als Elegant herum und ist von niemand zu erreichen, geschweige denn zu übertreffen.
Jean Paul setzt diese Schilderung nicht durch Wuz’ ganzes Leben fort; er fühlt, daß hier nur die Höhepunkte gegeben werden dürfen. »Ich hätte überhaupt«, fährt er bald nach Wuzens Hochzeit fort, »wenig vom ganzen Manne gewußt«, wenn ihn nicht die inzwischen alt gewordene Justine eines Tages angesprochen hätte, da ihr Mann gerade vom Schlage gerührt ist. So lernt er das alte Schulmeisterlein nur in seinem Tode kennen. Aber dieser Tod ist eine der zartesten und rührendsten Szenen, die je geschrieben wurden. Wuz läßt sich sein Kinderspielzeug ans Bett reichen und sinkt wieder in sein Kinderreich zurück. Seine größte Krankenlabung wird sein alter Kalender, der ihn sein Leben lang begleitet hat mit seinen abscheulichen zwölf Monatkupfern. In ihren Vignetten zieht noch einmal sein Leben mit allen seinen Jahreszeiten an ihm vorüber, ehe er die Augen zum letzten Schlummer schließt. Der Glöckner ist gestorben, seine Justel muß die Glocken bedienen. »Wie die Witwe im stummen Kirchturm mit rinnenden Augen das Seil unten reißt, so fühlt ich unser aller Nichts und schwur, ein so unbedeutendes Leben zu verachten, zu verdienen und zu genießen.«
Zu weltumfassender Liebe hatte sich der Satirenschreiber durchgerungen. »Suche im Wuz keinen eingeengten Orbilius«, hatte er an Otto geschrieben. Vielleicht lag bei einigen Stellen der ersten Bogen das Mißverständnis nahe, Wuz als einen satirisch behandelten, engstirnig pedantischen Schulmeister nach Art des Rektors
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