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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Fälbel aufzufassen. Aber weit lag diese Absicht von Jean Pauls damaliger Stimmung ab. In seinem noch immer fortgeführten Andachtsbüchlein berichtet er über ein kleines Erlebnis, das wie nichts anderes seine liebevolle Einstellung zu Menschen und Dingen wiedergibt. Gereizt durch unzarte Neckereien, schreibt er, wollte er gerade wieder zur Waffe der persönlichen Satire greifen, da sah er zufällig ins ruhende Angesicht eines Knaben, und der Gedanke an künftige Leiden, die darauf wohnen, und an die Tränen, welche seine Augen noch vergießen würden, brach den aufsteigenden Zorn; die Leiden der ganzen Menschheit durchzuckten ihn, und er hätte keinem, der ihr angehört, in den bitteren Kelch seines Lebens noch einen Gallentropfen gießen können. Beruhigt ging er, doch mit dem Entschluß, seine Rechte fortan fest aber sanft zu behaupten, nach Hause.
    Es läßt sich denken, daß er in solcher Stimmung, oder mehr als Stimmung: unter solcher Gewalt des Eindrucks vom Leiden des Lebens, unter einer Gestalt wie der seines Rektors Fälbel fast physisch litt und sich mit um so größerer Liebe in die Welt des armen, vergnügten Schulmeisterleins Wuz eingrub. »Ich will daher Euch mehr Freude machen«, schreibt er in sein Tagebuch. »Aufgebend meine großen Pläne, will ich mich darauf beschränken, Euch zu erheitern, und meine komische Kraft dazu anwenden, nicht mehr, wie bisher, Euch zu quälen! Wie ich daher selbst auch für mich in solchen Augenblicken mit meiner Kunst heiter zu sein und mich mit allen Beschränkungen zu begnügen, ihnen Freude abzugewinnen wußte: will ich auch meine Nebenmenschen zu beglücken suchen durch die Mitteilung des Gewinns meines bisherigen Lebens, der nach und nach von der Phantasie neben dem Witz ausgesonderten Kunst: Trost, Heiterkeit und Freude selbst an den beschränktesten Lebensverhältnissen zu finden.« Es konnte nur die Stimmung weniger Monate sein, in der er auf größere Arbeiten Verzicht leisten zu sollen glaubte, eine nur vorübergehende Unterbrechung an der »Unsichtbaren Loge« Trotz dieses Bekenntnisses zwang es ihn immer wieder zu den großen Romanplänen zurück. Nur in seinem umfassenden Weltbild hatten diese idyllischen und heiterkomischen Ausschnitte eines beschränkten Daseins ihren Sinn. Er rang um das Beharren in der »altfränkischen« Atmosphäre und um das Hinaustreten mit titanischen Schöpfungen. Bei seinem mit berstendem Leben gefüllten Innern konnte es nicht zweifelhaft sein, wo die Entscheidung lag, aber mit einem kleinen Teil seines Wesens blieb er dennoch immer jener kleinen Welt verhaftet, aus der jedoch jeden Augenblick heraustreten zu können, ihm Notwendigkeit war.
    Eine jener kleineren Arbeiten, mit denen er nur zu erfreuen und zu erheitern versuchte, war auch »Des Amtsvogts Josua Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dämon«. Die aus dem November 1790 stammende Urschrift führt den Untertitel »Schilderung eines Zerstreueten«. Es handelt sich also auch bei dieser Arbeit wie beim »Fälbel« um ein Charakterporträt, diesmal aber, in liebender Stimmung geschrieben, nur dem rein Komischen ohne bitteren Beigeschmack dienend. Allzu deutlich wird man durch den Amtsvogt Freudel, dessen »Dämon« eben in seiner Zerstreutheit liegt, an Vischers »Auch Einer« erinnert, um diese Parallele nicht wenigstens zu erwähnen. Dem Amtsvogt gerät aus Zerstreutheit alles verkehrt. Da er aber natürlich seine Zerstreutheit nicht wahrhaben will, vielmehr verächtlich von zerstreuten Menschen spricht, schiebt er alles Unglück einem Dämon zu, der ihn verfolge. Auch einer, der unter der Tücke des Objekts zu leiden hat. Ein »Antiwuz«, wie Jean Paul ihn selber nennt, einer, der in jedem Trunk einen Tropfen Galle herausschmeckt. Wie Fälbel muß dieser Antiwuz sich durch unfreiwillige Entblößung seines Wesens selber charakterisieren. Erst in diesen Porträts erlangte Jean Paul die Meisterschaft der rein durchgeführten Satire, die einst Christian Felix Weiße an dem jungen Studenten vermißt hatte und die sich anzueignen seitdem Jean Pauls höchstes Bemühen war. Unendlich viel von seinen reifsten und spätesten Arbeiten hat seine Wurzel in dieser ersten Periode seines Schaffens. Alles, was er einmal mit heißem Herzen ergriffen hatte, wirkte in ihm weiter fort. Seine damalige Hinneigung zur französischen Eleganz der Darstellung, zur witzigen Ironisierung, sie wirkte in diesen Charakterbildern, den Fälbel, Freudel und später dem Feldprediger Schmelzle und

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