Saemtliche Werke von Jean Paul
jener Jahre heraustrat, Weichheit und Stärke sollten in dem Helden zum Bunde verflochten werden, und sie sind es von Anfang an. In Viktor ist aber auch zum ersten Male jene für Jean Paul selber so charakteristische Zweiheit von Humor und Empfindung verwirklicht, die bereits auf das Zwillingspaar der »Flegeljahre« hinweist. Gustav war noch vom Zeitalter der Sentimentalität umfangen, Viktor ist seine Überwindung, nicht in dem Sinne, daß er die edle Schwärmerei des Herzens durch Härte ersetzt hätte, aber seiner seelischen Eindrucksfähigkeit steht eine seltene Kraft des Gemüts und ausgebildete Reife des Verstandes zur Seite. Alle Empfindungen durchklingen sein Wesen in voller Stärke, aber es erliegt nicht mehr der Welt, sondern hat die umwandelnde Kraft der männlichen Stärke. Er ist Arzt, aber wenn er wie Gustav dem Offizierberuf bestimmt wäre, so würde er sicher ein guter Offizier sein und den Zweck auch dieses Berufs zu vertiefen und zu erfüllen vermögen. Die Figur Viktors allein beweist die Unhaltbarkeit der Auffassung, daß Jean Paul lediglich ein Vertreter des sentimentalen Zeitalters wäre. Allerdings stellt er ein Menschenideal auf, das von unserer entseelten Zeit nicht erfüllt zu werden vermag, weil wir im Betonen der äußeren Embleme der Kraft die Kraft selbst sehen und die Mächte der Seele ignorieren zu dürfen glauben. Überwindung der Sentimentalität besteht aber nicht in dürftiger Seelenarmut, sondern im Ausgleich der starken Empfindungen mit dem schaffenden umwandelnden Willen. Nur eine entseelte Zeit darf in Jean Pauls Menschenideal süßliche Empfindelei erblicken. Von seiner Zeit aus betrachtet, bedeuten seine Idealgestalten die innere Überwindung des sentimentalen Zeitalters. Von ungeheuren seelischen Kräften und Empfindungen fühlten seine Leser sich getragen, und nicht zum mindesten hierauf beruhte die Stärke seiner Wirkung immerhin auf ein Geschlecht, das die Schlachten der Befreiungskriege schlug.
Viktor verspottet ausdrücklich die Sentimentalität und erklärt sie für die März- oder Naßgalle am menschlichen Acker, für eine immer naßbleibende Stelle, auf der alles verfaule. Er verspottet die flachen Köpfe, die zu Herzen werden und uns statt der Ideen nur Tränen geben. Gerade sein Humor – als der »humoristische Liebling« wird er bezeichnet – ist außerordentlich stark ausgeprägt. Wir hören von seinen humoristischen Rösselsprüngen, seiner Lust zu Tollem und Kindischem. Er mißfällt zunächst sogar Klothilde, die ihn für allzu satirisch und boshaft hält. Hier wird auf Jean Pauls satirischen Hang angespielt, der ihm zunächst die Frauen entfremdete. Bezeichnend ist auch für den Helden wie für den Autor sein Hinuntersteigen zu Hanswürsten, Fuhrleuten, Matrosen und Kindern. Viktor liest mit Begeisterung den »Wuz«, diesen »Flügelmann der Freudenhandgriffe«, und lernt von ihm, daß entweder nichts in diesem Leben wichtig ist oder alles. So charakterisiert tritt Viktor von Anfang an im Roman auf, und es sind nur die schweren und ernsten Schicksale im Verlauf des Buches, die seinem Wesen die dunkleren Farben zumischen.
Über den Charakter seiner Partnerin Klothilde ist wenig mehr zu sagen. Sie ist durch ihre Ähnlichkeit mit Amöne hinreichend gekennzeichnet. Auch sie ist nicht durchaus eine Vertreterin der Sentimentalität. Gerade die Herrschaft ihres Verstandes über ihre Empfindsamkeit wird gerühmt. Auch bei ihr sind es erst die schweren und ernsten Erlebnisse, die ihrem Wesen die jugendliche Frische nehmen und ihr Herz bloßlegen. Gerade darauf beruht der Reiz ihrer Gestalt, daß ihr Schicht auf Schicht die Sicherheit und Stärke genommen werden und ihr Wesen immer rührender hervortritt. Von Anfang an ist sie die alles Wissende, des Lords Vertraute und in alle Geheimnisse der Geschichte eingeweiht. Sie weiß, daß Flamin, der sie liebt, ihr Bruder ist, und eine fast übermenschliche Stärke gehört dazu, sich in diesen Wirrnissen des Herzens zu behaupten. Eine Stärke, die weniger die eines Helden als eben die eines stark empfindenden Mädchens ist.
Zwischen Viktor und Klothilde steht Flamin. Er gilt für den Sohn des »Hofkaplans« Eymann, ist aber in Wirklichkeit der Sohn des Fürsten Januar und der Nichte des Lords. Flamin ist völlig Tatmensch. Als Soldat will er, der wie er glaubt Bürgerliche, Ruhm gewinnen, um Klothilde heimführen zu können. Sein Beruf als Regierungsrat sagt ihm nur wenig zu. Er ist jähzornig, edel, gutmütig, mehr
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