Saemtliche Werke von Jean Paul
den bisherigen Enthüllungen der Vorgeschichte, der erblindete Infant ist. Schon langsam von den Strudeln der nahenden Begebenheiten erfaßt, verlebt Viktor in St. Lüne seine »Sabbathwochen«. Es war dasselbe traumhaft glückliche Umherschlendern, das Jean Paul selbst in diesen Wochen nach dem erlösenden Brief Karl Philipp Moritzens gefangenhielt. Ein Brief des Lords unterbricht die Stille des ländlichen Idylls. Viktor wird als Hofarzt an den Flachsenfinger Hof gehen. Die Braut des Fürsten, die italienische Prinzessin Agnola, wird in Großkussewitz feierlich eingeholt. Der Lord kommt mit Januar durch St. Lüne. Viktor wird ihm vorgestellt und von seinem Vater zur »Insel der Verheißung« befohlen, wo er ihm wichtige Enthüllungen zu machen hat. Inzwischen läuft die Antwort Emanuels auf Viktors Brief ein. Seltsam klingen die Stimmungen durcheinander: die Welt des indischen, lebenabgekehrten Weisen und des fürstlichen Hofes. Viktor wandert allein nach Kussewitz, um Zeuge des höfischen Schauspiels der Übergabe der italienischen Prinzessin zu werden und von dort nach der Insel der Verheißung zu gehen. Die Wanderung nach Kussewitz ist wiederum eines der unerklärlichen Wunder Jean Paulscher Dichtung. Wir kennen den Zauber solcher Wanderungen bereits aus der »Unsichtbaren Loge«. Aber hier ist er noch größer geworden. Einsame Wanderungen des Dichters im Ungestüm seiner Erlösung durch den Erfolg des ersten Romans, die glückerfüllte Losgelöstheit von aller Erdenschwere, das blumenhafte Dahintaumeln im All, – alles das ist doch erst jetzt in ihm lebendig geworden. So gibt sich Viktor noch einmal vor dem Eingespanntsein des Hoflebens einem grenzenlosen Schweifen hin. Die Freiheit ungemessener Tage umfängt ihn. Wie auf Flügeln eilt er durch das Land. Die Landschaft des Fichtelgebirges kreist in großen Ringen um ihn her. Im Freien schläft er ein, kommt in der Dämmerung in das Dorf.
Eine neue Perspektive ist rings aufgebaut. Viktor wohnt bei dem alten Zeidler Lind. Vor seinen Augen rollt sich das bizarre Schauspiel der Brautübergabe ab. Er sieht Agnola, die Prinzessin, und verliebt sich traumhaft spielerisch in sie. Ein italienischer Händler Tostato verkauft Bijouterien. Er besticht ihn und verkauft als italienischer Händler verkleidet der Prinzessin eine Uhr, in die er einen Zettel mit einer verblümten Liebeserklärung hineingeklebt hat. Noch einmal ist Viktor der »humoristische Liebling«, der in leichtem Spiel das Leben einfängt. Noch einmal verkündet er seine heitere Auffassung der »Simultan- oder Tutti-Liebe«: »Wenn nun in diesen ehelustigen und ehelosen Zeiten ein Jüngling, der noch auf seine Messiasin wie ein Jude passet und der noch ohne den höchsten Gegenstand des Herzens ist, von ungefähr mit einer Tanzhälfte… hundert Seiten in den Wahlverwandtschaften oder in den Hundposttagen lieset – oder mit ihr über den Kleebau oder Seidenbau oder über Kants Prolegomena drei bis vier Briefe wechselt – oder ihr fünfmal den Puder mit dem Pudermesser von der Stirne kehrt – oder neben und mit ihr betäubende Säbelbohnen anbindet – oder gar in der Geisterstunde (die ebenso oft zur Schäferstunde wird) über den ersten Grundsatz der Moral uneins wird: so ist so viel gewiß, daß der besagte Jüngling… ein wenig toll tun und für die besagte Mitarbeiterin… etwas empfinden muß, das zu warm ist für die Freundschaft und zu unreif für die Liebe, das an jene grenzt, weil es mehrere Gegenstände einschließt, und an diese, weil es an dieser stirbt… Diese Universalliebe ist ein ungegliederter Fausthandschuh, in den, weil keine Verschläge die vier Finger trennen, jede Hand leichtlich hineinfährt – in die Partialliebe oder in den Fingerhandschuh drängt sich nur eine einzige Hand.«
Unter dem Lesen der »Unsichtbaren Loge« kommt Viktor an das Ufer des Sees, in dem die Insel der Verheißung liegt. Keine Brücke führt hinüber. Der Lord ist bereits da und erwartet den Sohn »mit einem Ernst, der seine Freundlichkeit überhüllte, und mit einer Rührung, die noch mit seiner gewöhnlichen Kälte rang«. Durch Bewegen eines Steines hebt sich eine eiserne Brücke aus dem Wasser, die die beiden hinüberführt. Geheimnisvolle Wälder und künstliche Anpflanzungen nehmen sie auf. Durch die Flöre steigen fünf Gewitterableiter in den Himmel auf, ein Regenbogen aus zwei ineinandergekrümmten Wasserstrahlen schwebt flimmernd am Gezweige. Als der Lord den Sohn in ein Birkengebüsch
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