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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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hineinzieht, beginnt die lallende Totenzunge eines Orgeltremulanten zu tönen. In dem Gebüsch liegt ein Grab mit einem schwarzen Marmorstein, auf dem ein überschleiertes blutloses Herz und die bleichen Worte stehen: Es ruht. Es ist das Grab Marys, der Gattin des Lords. »Nie schauderte Viktor so: nie sah er auf einem Gesicht eine solche chaotisch wechselnde Welt von fliehenden, kommenden, kämpfenden, vergehenden Empfindungen; nie starrte ein solches Eis der Stirne und Augen über krampfhaften Lippen – und ein Vater sah so aus, und ein Sohn empfand es nach.« Ottomarstimmung liegt über den Worten des Lords: »Glaube nicht, daß ich besonders gerührt bin – glaube nicht, daß ich eine Freude begehre oder einen Schmerz verwünsche – ich lebe nun ohne Hoffnung und sterbe nun ohne Hoffnung.« Neben dem Grabe der Gattin will er begraben werden, und dann soll auch auf seinem weißen Herzen in schwarzer Schrift stehen: Es ruht! Im Spiegel des blankgeschliffenen Steins erscheint dem Jüngling einen Augenblick das verehrte Antlitz seines Lehrers Dahore.
    Hier ist es, daß der Lord dem Sohn, der bei der Asche der Toten Schweigen gelobt; einen Teil der Vorgeschichte offenbart. Flamin ist der Sohn des Fürsten, kenntlich an dem apfelartigen Mal unter dem Schulterblatt. Die drei andern Söhne des Fürsten leben als Gelehrte und Semperfreie in der Welt umher. Es ist der Sohn des Kaplans, der an den Blattern erblindete und seitdem im Verborgenen lebt. (Also der Julius Emanuels?) Der Mosge lebe verborgen auf den sieben Inseln der künstlichen Südsee. Als der Lord erblindete, habe er mit Hilfe Klothildens die Korrespondenz mit der Lady und den Lehrern der Söhne geführt. Hierbei sei das Geheimnis leider in die Hand eines uneingeweihten und gefährlichen Menschen geraten: Junker Matthieu, der Sohn des Ministers Schleunes, habe sich eingeschlichen und in Erfahrung gebracht, daß Flamin der Sohn des Fürsten sei. Seitdem habe er mit Erfolg die Freundschaft Flamins gesucht. Der Minister sei mit dem Sohne im Bunde, und beide suchten aus ihrer Mitwissenschaft Vorteil zu schlagen und bereiteten irgendeine Intrige vor.
    Ungeheure Umwälzungen bringen diese Enthüllungen in Viktors Innerm mit sich. Jetzt weiß er, nicht nur, daß Klothilde frei ist und keine Freundschaft ihm ihre Liebe verwehren kann, er weiß auch, daß Klothilde selbst um ihr geschwisterliches Verhältnis zu Flamin unterrichtet ist und den überschwenglichen Bruder mit schwesterlich liebender Hand abzuwehren sucht. Er eilt zu Emanuel nach Maienthal, umarmt in ihm den alten und geliebten Lehrer Dahore. In Entzückung und Beklemmung schwillt sein Herz. Er gesteht Emanuel seine Liebe zu Klothilde, reißt sich von ihm und dem sanften blinden Flötenspieler Julius los und eilt nach St. Lüne zurück.
    Wieder umfängt uns die Szenerie des Anfangs, aber alles ist anders geworden. Mit andern Augen betrachtet er nun die quälende Liebe Flamins und die sorgende Zärtlichkeit Klothildens. Der Schwur verschließt ihm die Lippen. Trotz allem ist seine Liebe zu Klothilde ja Verrat am Freunde. Dennoch kann er sich nicht losreißen, zieht seine Abreise nach Flachsenfingen in die Länge, denn er fühlt, daß er das liebvertraute Pfarrhaus mit seinen geliebten Personen nie wieder so friedlich wiedersehen wird. Die kommenden Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Endlich trennt er sich von den Freunden. An einem Sommerabend geleiten sie ihn hinaus, immer wieder umkehrend, immer wieder einander von den nächsten Hügeln noch grüßend. In der Residenz wohnt er beim Apotheker Zeusel, einem charakterlosen komischen Männchen, der von Stadt- und Hofklatsch lebt. Ihm gegenüber beim Stadtsenior wohnt Flamin, der als Regierungsrat gleichfalls nach Flachsenfingen übergesiedelt ist. Sie können sich in die Fenster sehen und miteinander sprechen. Aber was Viktor bisher mit Seligkeit erfüllt hätte, das wird ihm jetzt zur Qual, da er die wichtigsten Dinge dem Freund geheimhalten muß.
    Fürst Januar wohnt in einem einfachen Palast. Er ist zu bequem, um die Anstrengungen des Hoflebens auf sich zu nehmen. Das gesellschaftliche Leben des Hofes hat vielmehr der Haushalt des Ministers von Schleunes übernommen. Die junge Fürstin Agnola wohnt im Paulinum, dem alten Schloß. Wiederum sehen wir hier die Baireuther Verhältnisse vor uns, die Jean Paul nunmehr genau aus eigenem Augenschein kennt. Viktor beginnt seine Tätigkeit als Hofarzt damit, daß er den Fürsten zu einer Inkognitoreise durch

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