Saemtliche Werke von Jean Paul
die Kunstgriffe, obwohl nicht die Materie teile – daß der Humor (nämlich der ästhetische, der vom praktischen so verschieden und zertrennlich sei, wie jede Darstellung von ihrer dargestellten oder darstellenden Empfindung) nur die Frucht einer langen Vernunft-Kultur sei, und daß er mit dem Alter der Welt, sowie mit dem Alter eines Individuums wachsen müsse«. Hier wird der Gegensatz zwischen dem jünglinghaften Formensinn der Alten und dem durch ein Weltalter getrennten Formensinn der christlich nordischen Moderne aufgezeigt. Durch die unendlichen Seelenerlebnisse der neueren Zeit erst ist der Sinn frei geworden für die Tiefen des Lebens, und frei, sie in ihrem Widerspiel zu umfassen. Erst von der krummen Linie des Humors kann die Formenfülle der modernen Seele umgriffen werden. Der Humor begnügt sich nicht mit farblosen Idealgestalten griechischer Prägung. Die ganzen Zwischenstufen von Gut und Böse finden in der humoristischen Darstellung ihren Ausdruck, während das griechische Schönheitsideal sich mit allgemeinen Idealcharakteren begnügen müsse. »Auch wird es einer engen Phantasie schwerer, sich in unvollkommene Charaktere zu denken als in vollkommene und sich für sie zu interessieren.« Gerade mit seinen unvollkommenen Menschen hatte Jean Paul Neuland erobert und erst allen diesen vom Leben niedergedrückten und verstümmelten Charakteren, von denen die Welt voll ist, dichterische Teilnahme gewonnen. Gerade hierin konnte er mit Recht seine größte Leistung sehen. Mit dem griechischen Maßstab gemessen, den er für einen modernen Dichter als viel zu eng empfand, mußte dieser Eroberungszug in neues Gebiet als barbarischer Rückschritt erscheinen. Auch hier, und hier gerade im entscheidenden Punkte wurde der Kampf um die deutsche Verwirklichung aufgenommen, um das Eingehen der modernen Vielfältigkeit in dichterische und künstlerische Gebilde. Wie stark bewußt Jean Paul diesen Gegensatz nach Weimar empfand, zeigt die Andeutung, daß er schon damals den Plan gefaßt, seinen und Herders Standpunkt gegenüber der gräzisierenden Zeitströmung theoretisch zu fundieren. »Ich werde einmal in einem kritischen Werkchen geschickt dartun, daß alle deutsche Kunstrichter (den neuesten ausgenommen) den Humor nicht bloß jämmerlich zergliedern, sondern auch (was ich nicht vermutet hätte, da das Vergnügen an der Schönheit durch die Unwissenheit in ihrer Anatomie so sehr gewinnt) noch erbärmlicher genießen.« Aus dem Plan dieses »Kritischen Werkchens« sollte sich Jahre darauf die »Vorschule der Ästhetik« entwickeln. Der neueste Kunstrichter war natürlich Herder, und die deutschen Kunstrichter, die die Werke eines deutschen Humoristen nur so jämmerlich genießen können, unter denen waren natürlich Goethe und Schiller und ihr Anhang gemeint, die verständnislos Jean Pauls künstlerischer Erscheinung gegenüberstanden. Und als ob Jean Paul bereits das dritte jener Goetheschen Xenien, das sich gegen den Rezensenten des »Hesperus« in der Allgemeinen Literaturzeitung richtete, gelesen hätte, legt er Fraischdörfer die Worte in den Mund: »so begreife man nicht, wie der Rezensent der Literaturzeitung ihn noch dazu wegen der Wahl solcher zweideutiger Materien, wie z. B. Gottheit, Unsterblichkeit der Seele, Verachtung des Lebens usw. preisen könne«.
Mit einem flammenden Ausbruch stellt sich der Dichter zu seiner eigenen Welt, wenn er dem Kunstrat innerlich zuruft: »Du sollst weder meine Reißfeder noch mein Auge von dem Eisgebirge der Ewigkeit abwenden, an dem die Flammen der verhüllten Sonne spielen, noch vom Nebelstern der zweiten Welt, die so weit zurückliegt und nur die Parallaxe einer Sekunde hat, und von allem, was die fliegende Hitze des fliegenden Lebens mildert, und was den in der Puppe zusammengekrümmten Flügel öffnet und was uns wärmt und trägt!«
Während dieser Auseinandersetzungen haben die Wanderer Berneck erreicht. Der Reisewagen der schönen Fremden hält vor dem Wirtshaus, und gerade will die Dame einsteigen, als sie Jean Paul erkennt und mit Namen begrüßt. Nun bemerkt Fraischdörfer, daß er nicht mit dem »Quintus Fixlein« gewandert ist, dessen Lebensgeschichte er rezensieren will, sondern mit dem Verfasser dieser Lebensgeschichte selber, und verschwindet mit einem Fluch. Die schöne Unbekannte ist aber niemand anders als Paulline Oehrmann, die wir aus der Vorrede zum »Siebenkäs« bereits kennen. Wir entsinnen uns, wie Jean Paul ihr unter dem Einschlafen ihres
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