Saemtliche Werke von Jean Paul
wovon mich besonders Christian vor 10 Jahren behandelt wie jetzt – lebte, daß kein Mädgen mich ansah, daß ich überall Haß, zumal im Heroldschen Hause fand, daß ich in Leipzig abends nie mehr zu essen hatte als für 6 Pfennige, daß ich in Hof samt meiner Mutter nichts zu essen immer zu fürchten hatte, und daß wir (aber sei Du die Göttin der Verschwiegenheit) vom Verkaufe alter Papiere für die Hofer zuletzt lebten – daß ich doch trotz der kalten literarischen Aufnahme meiner Satiren meinen Plan nicht änderte – daß ich unter Geizhälsen, Kleinstädtern stand, aber mein Herz nie beugen ließ – und daß ich doch, du gutes tröstendes Geschick, nie holdere, elysischere Tage hatte (obwohl nur in meiner Brust und unter dem blauen Himmel) als damals. Die Augen treten mir über, welche vergebliche, nie gekannte Liebe damals in meinem jugendlichen Herzen verglühte und erstarb.«
Dieser Brief kam nicht von ungefähr. Neben ihm stehen andere, in denen er auch den Freundinnen über alte Zeiten schreibt. Vielleicht hatte er, der alle empfangenen Briefe sorglich zu sammeln pflegte, alte Briefe an die Höfer Freundinnen wieder vorgenommen. Dann war ihm wohl auch jener an Helene Köhler aus dem Sommer
1792 in
die Hände gefallen, in dem er ihr ihre Ehefeindschaft auszureden versuchte, fast mit den gleichen Worten, die er im »Jubelsenior« für das Leid des armen sitzengebliebenen Schloßfräuleins fand. Für Helene Köhler hatte er auch bereits in dem gleichen Sommer 1792 einen »Beweis für die Unsterblichkeit der Seele« niedergeschrieben. Auch an diese Gedankenskizze sollte er jetzt eine größere Arbeit anschließen, die ihn für den Rest des Winters beschäftigte. Es war »Das Kampanertal oder über die Unsterblichkeit der Seele«. Die kleine Dichtung, denn um eine solche und nicht um eine Abhandlung handelt es sich, führt uns in die französischen Pyrenäen, in das herrliche Tal des oberen Adour, das nach dem Marktflecken Kampan benannt ist. In diesem Naturparadies feiert Baron Wilhelmi seine Vermählung mit Gione. Nach der Trauung wandelt die Hochzeitsgesellschaft durch das Tal. Unter den Wandelnden befinden sich Jean Paul selbst, Giones Schwester Nardine, Jean Pauls Freund, der Titularrittmeister Karlson, der Hauskaplan und ein kritischer Philosoph. Schon in einem Briefe an Emanuel hatte Jean Paul den Gang seiner Gedanken angedeutet: »Gerade das Bessere im Menschen, das heißt sein Hunger nach einer hier unsichtbaren Tugend, Freude und Weisheit verbürgt ihm seine Verpflanzung in eine reichere Welt.« Und genau so heißt es im Schluß der Gespräche über die Unsterblichkeit: »Die innere Welt in uns ist das Universum der Tugend, der Schönheit und der Wahrheit; sie ist aber nach keinem Vorbilde von uns erschaffen, sondern wir erkennen sie; sie braucht eine höhere Welt, als sich an einer Sonne wärmt, eine andere jenseits des Universums, eben diese aber ist unsere wahre Heimat, in welche wir nach dem Tode versetzt werden.«
Schon dieser Gedanke zeigt, daß Jean Paul hier keineswegs daran denkt, in der kleinen Dichtung Philosophie zu treiben. Er will nicht durch Gründe überzeugen, sondern überreden, die in ihm wohnende Anschauung zum Erlebnis bringen. Es ist eine Schrift für Frauen, die von der wissenschaftlichen Philosophie nicht erfaßt, deren Zweifel von erkenntniskritischen Systemen nicht behoben werden. Jean Paul, für den die Unsterblichkeit der Grundakkord seines Lebens und Schaffens war, wußte aus seinem Verkehr mit zahlreichen Frauen, wie gerade in dieser wichtigsten aller Fragen Zweifel und Skrupel ein Menschenleben vergiften können, ohne daß die Schulphilosophie das erlösende Wort fände. Ja, im Grunde richtete sich die kleine Dichtung gerade gegen das Abstrakte und Abstruse des kantischen Denkens und der kantischen Schule, zu der Jean Paul jetzt mehr und mehr in Kampfstellung geraten sollte. Diese Stellungnahme gegen Kant, d. h. gegen eine Philosophie, die das ganze kommende Jahrhundert beherrschte, war im tiefsten Grunde auf den Einfluß Herders zurückzuführen. Nicht in dem Sinne, daß die Freundschaft mit Herder, dem alten Kantgegner, Jean Pauls Einstellung zu philosophischen Fragen bestimmt hätte, sondern es war Herder, der im Anschluß an seinen großen Lehrer Hamann das Erlebnis- und Wirklichkeitsfeindliche des kantischen Denkens herausgefühlt und ihm die Totalität des ungebrochenen Lebensgefühls entgegengestellt hatte. Kant zerlegte den menschlichen Geist in
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