Saemtliche Werke von Jean Paul
andere Schriften ziemlich liegen.« Schon hier wird also das Verschweigungssystem gegen Jean Paul und Herder sichtbar, das für ein Jahrhundert und länger zwei der größten Geister aus dem Bewußtsein des deutschen Volkes ausscheiden sollte.
Am nächsten Tag war er in Weimar und wurde zu Tisch gleich von der Herzogin Amalie mit Beschlag belegt. Der Abend vereinigte ihn dann endlich mit Herders. Bei der jungverehelichten Tochter der Berlepsch lernte er unter anderen Frau von Wolzogen, die Verfasserin der »Agnes von Lilien« kennen. »Ihr Äußeres ist in Dicke und Physiognomie der Abguß von meiner Kalb, die leider jetzt auf ihrem Landgute ihre höchste myopische Blindheit mit Ergeben trägt und zu meiner Freude den hiesigen Winter mitfeiert. Die Wolzogen ist klar, unbefangen, nicht-preziös, unschriftstellerisch, kurz man liebt sie.« Die Augenerkrankung der Kalb ist vielleicht nicht ohne Einfluß auf die Erblindung Lianens im »Titan« gewesen.
Diesmal wurde auch Wieland besucht, der bei Jean Pauls erster Weimarer Reise in der Schweiz gewesen war. Am Sonnabend ging es nach Osmannstädt, dem Landsitz Wielands, hinaus. »Wieland ist ein schlanker, aufgerichteter, mit einer roten Schärpe und einem Kopftuch umbundener, sich und andere mäßigender Nestor, viel von sich sprechend aber nicht stolz – ein wenig aristippisch und nachsichtig gegen sich wie gegen andre – voll Vater- und Gattenliebe – aber von den Musen betäubt, daß ihm einmal seine Frau den Tod eines Kindes 10 Tage soll verborgen haben – inzwischen nicht genialisch über diese Reichsstadtwelt erhoben, nicht tief eingreifend wie etwan Herder – vortrefflich im Urteil über die bürgerlichen, und weniger im Urteilen über die menschlichen Verhältnisse.
»Bei Wieland mußt ich wegen meines weitvergitterten Sommerornats in der häßlichen Kälte seinen Rock anziehen – den mir beim 2ten Dortsein der gute Patriarch sogleich selber brachte, heute fuhr ich mit ihm zurück – und seine rote Nabelgurt umschnüren und ging wie der Alte im Haus herum. Gott schenke jedem Dichter eine so anstellige, weich anfassende, feste, nachsehende und nachlaufende, biedere klare Frau. Da im Reichsanzeiger über die Ruhr von Erkältung gelesen wurde: brachte sie mir warme Strümpfe aus Angst.« Jean Paul fühlte sich in dem behaglichen Dichterheim sogleich wie zu Hause, wozu die verschiedenen Töchter nicht wenig beitrugen. »Schöne Herzen, aber mit den Gesichtern will’s nicht fort.« Es waren dieselben Töchter, unter denen etwa fünf Jahre später der junge Heinrich von Kleist Tragödien aufrührte.
Man machte Jean Paul den Vorschlag, ganz nach Osmannstädt überzusiedeln, in das gegenüberliegende Haus zu ziehen und sich von Wielands »für Geld« beköstigen zu lassen. »Allein das geht nicht, weil zwei Dichter nicht ewig zusammenpassen – weil ich keine Kette, und wäre sie aus Duft an der bloßen Mondglut geschmiedet, anhaben will – und weil ich gewiß weiß, daß ich in der Einsamkeit und der Gesellschaft darauf am Ende eine von seinen Töchtern heiraten würde, welches gegen meinen Plan ist.« Auch hier sträubte er sich wieder gegen ein Festlegen, so sehr es ihn nach Ehe und Ruhe verlangte.
Naturgemäß traf er auch diesmal in Weimar mit einer Menge Menschen zusammen, lernte Professor Meier, »den tiefen Maler und Kunstkenner«, kennen, den eigentlichen Berater Goethes in allen Kunstangelegenheiten. »Außen und als Mensch unbedeutend«, schreibt er über ihn. War mit Corona Schroeter und der schönen Amalie Imhof zusammen, noch mehrere Male bei der Herzoginmutter. »Ich komme eben wieder von einem Diner bei Herder und saß mehrere Stunden mit ihm allein in einer Laube. O lieber Otto, wie soll ich Dir diesen großen Geist auf der rechten Anhöhe zeigen, vor dem mein kleiner sich spanisch und türkisch beugt – diesen durchgötterten Menschen, der den Fuß auf dieser Welt und Kopf und Brust auf der andern hat – sein Wiegen der Arme, wenn ihn Musik und Gesang auflösen, und sein trunknes schwimmendes Auge – sein Erfassen aller Zweige des Baumes der Erkenntnis – wiewohl er nur Massen nicht Teile ergreift und statt des Baumes den Boden schüttelt, worauf dieser steht. Ich habe schon oft Abends mit Tränen Abschied genommen; und er liebt mich gewiß. – Er schreibt nächstens eine Metakritik Kants, der sich, wie er sagt, vor Hamann tief gebogen haben soll.« Es war Herder, der ihn den Gedanken, nach Weimar zu ziehen, endlich zum Beschluß
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