Saemtliche Werke von Jean Paul
nicht zu meinen Träumen.« Bei Dorothea Weiße wie bei den Töchtern Wielands hatte er mit sich ringen müssen. Bei den Titaniden stand das Nein! von vornherein bei ihm fest. Der kommenden, der erträumten Liebe sparte er sich auf. »O Emilie, du sprachst mir die Liebe ab, und nur dieser opfer ich Stand und Reichtum schon zum 2ten mal!« Anfang Januar 1799 konnte er berichten: »Zweitens hab’ ich jetzt mit der Titanide ein Elysium ohne Schwaden, alles ist leicht und recht und gelöset.« »Sogar ihren Mann liebt sie jetzt mehr; und ich mauere hoff’ ich einige aus dem Altar ihrer Ehe, Liebe gefallne Steine wieder ein.«
Aber auch abgesehen von den Titanidenerlebnissen nahm er fortwährend Neues in sich auf. Nicht Goethe und Schiller, sondern Herder führte ihn zu den Griechen, und er studierte sie als eine einmalige Erscheinung, nicht als ewig gültige Norm. Die Eindrücke, die er in der Dresdener Galerie gehabt, kehrten stärker zurück. »Ich lese den Homer und die Tragiker mit einer namenlosen Wonne. Sophokles ist (Shakespeare ausgenommen) ein Siebengestirn (auch er hat nur 7 Stücke) und die Neuern sind Nebelsternlein.« Wenn er im »Titan« Herder als den sanften griechischen Baumeister Dian auftreten läßt, so wurde jetzt der Grund dazu gelegt.
Zu den modernen »Nebelsternlein« gehörte für ihn auch Schiller. »Der 2te Teil des Wallensteins ist mit großer Pracht (über 400 rtl. neue Kleider, weil alles echt war) abgespielt, er ist vortrefflich, passabel und langweilig und falsch. Die schönste Sprache – kräftige poetische Stellen – einige gute Szenen – keine Charaktere – keine fortströmende Handlung – oft ein dramatisierter Zopf oder Essig – 3faches Interesse – und kein Schluß.« Schiller benutzte die Lorbeeren des Wallenstein, um sich der Titanide wieder zu nähern. Er »sagte schon dreimal zu ihr: wir müssen miteinander nach Paris. (Hier ist alles revolutionär-kühn und Gattinnen gelten nichts. Wieland nimmt im Frühling, um aufzuleben, seine erste Geliebte, die La Roche ins Haus, und die Titanide stellte seiner Frau den Nutzen vor«.) Immer deutlicher schälte sich Jean Paul das Bild der Zeit heraus, das er in seinem Kopfe trug. Er fühlte, daß die Welt einer Erneuerung dringend bedurfte. Aber vergeblich sah er sich nach den neuen Kräften um. Weder von der französischen Revolution noch von den anerkannten geistigen Führern der Nation waren sie zu erwarten. Mitten im Hochstand der deutschen »klassischen« Zeit fühlte er, daß die alte Welt im Niederbrechen war. Schon vom Giebichenstein aus hatte er an Otto über die Furcht vor Revolutionen als einem deutlichen Symptom des Kommenden geschrieben: Reichardt »erzählt mir, daß in Berlin das alte Unwesen durch die Souffleurs der alten Regierung wieder angehe. Die unnötige Furcht der Revolution tut gerade so viel Schlimmes als vorher Gutes: ein ganzes Spionen-Departement ist öffentlich errichtet auf dem alten Pariser Fuß, das unter allen Verkleidungen Hör- und Sehröhre ansetzt und den Staat zu einem Schallgewölbe macht. Wer dem Abbé Sieyes nur nachsieht, der wird angegeben; so wie auf eine niedrige Weise Stände und der König unter dem Huldigungsschwur bloß auf den Franzosen sahen.« Solche Ausschnitte illustrieren aufs beste die Stimmung, die über der Zeit lag. Im Anfang hatte Jean Paul wie Herder und viele andere von der Pariser Revolution das Kommen des Neuen erwartet. Jetzt, in Weimar, schrieb er die bedeutungsschweren Worte nieder: »So viel ist gewiß, eine geistigere und größere Revolution als die politische, und nur ebenso mörderisch wie diese, schlägt im Herz der Welt. Daher ist das Amt eines Schriftstellers, der ein anderes Herz hat, jetzt so nötig und braucht so viel Behutsamkeit. Ich nehme in meine Brust keine Veränderungen auf, aber desto mehr in mein Gehirn.« Auch diese Revolution, die unbemerkt im Herzen der Welt schlägt, wollte er in den »Titan« aufnehmen, der sich ihm immer mehr zur großen Abrechnung mit der Zeit auswuchs.
Inzwischen mochte er alles, was ihn politisch bewegte, doch noch einmal in eine Gestalt zusammenfassen. In den Junitagen1799 schrieb er eine seiner schönsten Arbeiten nieder: den Aufsatz »Über Charlotte Corday«. Auch hier war Abrechnung mit der Zeit, auch hier stand ein Titanidenerlebnis im Mittelpunkt. Aber in Charlotte Corday hatte das Titanidentum eine Größe erreicht, zu der er sich in seiner Darstellung nicht mehr kritisch zu stellen brauchte. Nicht als
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