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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Sinnbild einer niedergehenden Zeit erschien sie ihm, sondern als Vertreterin überzeitlichen Heldentums überhaupt. Hier konnte er sich rückhaltlos in seiner Darstellung hingeben. Zum ersten und letztenmal in seinem Leben gab er ein streng umrissenes geschichtliches Bild ohne Abschweifungen und Ausweichungen. Er erzählt die Geschichte des heldenmütigen Mädchens mit einer Ruhe und Konzentration, die man Jean Paul am wenigsten zutrauen möchte. Zeigt das allmähliche Anwachsen ihres Entschlusses, den Bluthund Marat, den Vernichter republikanischer Freiheit, zu töten, schildert die Tat selbst, immer auf den tiefsten Grund ihres Wesens tauchend und ihre Heldenseele heraushebend, und schließlich ihren letzten Gang zum Schafott.
    »Es ist bekannt, daß die Heldin darauf einen ganzen Monat lang ihren Vorsatz schweigend in der Brust bewahrte. Aber wie leicht und klein mußten ihr in dieser Zeit die Spiele und Plagen des Lebens erscheinen, wie frei ihr Herz, wie rein jede Tugend, wie klar jede Ansicht! Sie stand jetzt auf dem höchsten Gebirge und sah die Wetterwolken nur aus der Tiefe, nicht aus der Höhe kommen, und sich von ihnen kaum verhüllt und benetzt, indes die andern, die tiefen Menschen auf dem Boden, ängstlich nach dem Gewölke aufblickten und auf dessen Schlag harrten. – Der edle Krieger, der handelnde Republikaner, der gottbegeisterte Mensch, sie haben diese hohe Stellung, die so sehr für alles häusliche Einnisten in bequeme, warme Freuden entschädigt und erkältet.« Mit wenigen Strichen ist die Höhenlage dieses Entschlusses umrissen. Eine Darstellung, halb voll gegenständlicher Ruhe, halb voll Pathos, trägt das Ganze. »Darauf begab sie sich zu Marat mit der doppelten Gewißheit, jetzo sterbe er unter ihren Händen, und zugleich sie selber unter den Händen des Volkes.« Alles ist klar und groß in dieser Seele, die sich für das Volk zum Opfer bringt. Der Pöbel will sie auf dem Wege ins Gefängnis umbringen, sie fällt in Ohnmacht. »Als sie wieder zu sich kam, war sie in Verwunderung, daß der Pöbel sie noch leben lassen und daß dieser, den sie für eine Zusammensetzung von Kannibalen gehalten, dem Gesetz gehorcht hatte.« Hier liegt die ganze Kritik an ihrer Tat. Sie wollte das Volk, die Republik, von der Schreckensherrschaft befreien, und sie sah nicht, daß sie nur einen einzelnen mordete, der ihr zufällig der Inbegriff alles Entsetzlichen erschien. Sie hatte das Doppelgesicht aller Dinge nicht erkannt. Auch ihre Tat traf nicht die Wurzel, nur einen Zweig. Aber ihr Heldentum bleibt bestehen.
    Eines andern Helden noch gedenkt er bei ihrer Gestalt, der ihr nachzuleben und nachzusterben wußte, des Deutschen Adam Lux, der sich in Paris in die Strudel der Revolution stürzte und in ihnen unterging. »Er hatte aber in seiner Katos-Brust mehr mitgebracht, als er finden konnte im damaligen Pariser Blutsumpf: eine ganze römische und griechische Vergangenheit und Rousseaus eingesognen Geist und die Hoffnung einer steigenden, siegenden Menschheit.« Aber diese Ideale werden von der Wirklichkeit »ausgeplündert«. Es bleibt ihm nichts, als gegen das Schreckensregiment zu protestieren und selbst den Tod zu suchen. »Und kein Deutscher vergesse ihn! – Aber wie wird alles im Rauschen der fortziehenden Zeit übertäubt und vergessen! Welche hohen Gestalten stiegen nicht aus dem unreinen Strome und glänzten und sanken, wie Wasserpflanzen in die Höhe gehen, um zu blühen, und dann, mit Früchten beladen, untersinken.«
    In der kleinen Schrift ist Jean Pauls ganze Abrechnung mit der Revolution enthalten, sein Freiheitshymnus und sein Klagegesang über die Entartung der Freiheit, in der sinnbildlichen Handlung des politischen Mordes eingefangen. Für Charlotte Corday nimmt der Dichter das höchste Recht in Anspruch. Sie »bekämpfte und durchbohrte nicht als Bürgerin einen Staatsbürger, sondern als Kriegerin in einem Bürgerkriege einen Staatsfeind, folglich nicht als Einzelne einen Einzelnen, sondern als gesundes Partei-Mitglied ein abtrünniges, krebshaftes Glied.« Darin, aber nur darin liegt ihre Rechtfertigung. Wie Jean Paul sonst über den politischen Mord dachte, zeigt eine Anmerkung, die er einer späteren Auflage der kleinen Schrift beigab. In eigentümlicher Weise wurde die »Charlotte Corday« mit der Tat des gleichfalls in Wunsiedel geborenen Studenten Sand verknüpft, der ein begeisterter Verehrer Jean Pauls und insbesondere seiner Schrift »Über Charlotte Corday« war. Jean Paul

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