Saemtliche Werke von Jean Paul
alle Polymeter gemacht, »blühte sie auf wie das Morgenrot, das die Sonne verspricht«. Nun bittet sie ihn, ein Gedicht für Raphaela zu machen, das Vult komponieren soll und das sie mit Begleitung der Flöte am Neujahrsmorgen singen wird. Walt verspricht alles und noch mehr.
Auch Vult sieht hinter Winas Vorschlag ein Land der Verheißung aufdämmern. Nichts anders kann er glauben, als daß Wina den Weg zu ihm sucht. Beide Brüder arbeiten nebeneinander, um in das Neujahrskarmen ihr ganzes Herz hineinzulegen. Gegen Abend wird der Teich des Gartens unter ihrem Fenster von Schnee gesäubert, und die drei Mädchen treten mit Schlittschuhen heraus, um Eis zu laufen. Wie der Blitz ist Vult unten, läßt sich von einem Kommis Neupeters ein Paar Schlittschuhe geben und mischt sich in den Lauf der Mädchengestalten mit kühnen Bogen und Kurven. Walt steht, das Gedicht und die Komposition unter dem Rock, am Ufer und bewundert den Lauf des Bruders, der in immer kühnerem Schwung Wina umgleitet und einfängt. Vult merkt nicht, daß Wina immer wieder dem unbeweglichen Bruder am Ufer zustrebt. Dieser selbst wagt es nicht zu bemerken. Kaum vermag er vor innerer Erregung der Geliebten das Lied einzuhändigen. Ein Zablockischer Diener kommt und zerstört die Idylle. Aber der Neujahrsmorgen liegt mit aller seiner Verheißung vor ihnen beiden.
Das alte Jahr verbringen die Brüder bei einer Flasche Sekt, für die Vult seinen Kredit in dem Gasthaus aufgeboten hat. Morgens um vier Uhr hat Engelberta Neupeter, Raphaelas Schwester, sie herunter bestellt, weil das Ständchen beginnen soll. Engelberta und Wina sind bereits in das Feuerhäuschen am Teich hineingeschlüpft. Vult überredet den Bruder, die Musik lieber aus der Ferne zu hören, da sie dann besser klinge. Er geht zu den Mädchen und hat sich fest vorgenommen, Wina seine Liebeserklärung während des gemeinsamen Musizierens zu machen. Aber wie anders verläuft alles, als der siegesgewisse Vult gedacht. Wina erfaßt, als sie seine Reden verstanden, seine Hand und sagt, daß sie ihre Liebe ihm, wenn sie ihn liebte, stolz gestehen würde. Aber ihr Herz gehöre einem andern. Ernst setzt Vult seine Flöte zusammen, und sie beginnen mit dem Lied. Walt ist in das Rindenhäuschen getreten, um Winas Gesang zu lauschen. Nach dem Lied tritt auch die Sängerin hinein und findet Walt »mit dem Auge auf dem Monde, mit dem Geiste in dem blauen Äther«. Er sinkt vor ihr nieder, sie legt die Hand auf seine Haare. Sie hebt ihn sanft auf. Raphaela stürzt herein, um zu danken. Schweigend gehen die Brüder auf ihr Zimmer.
Am Montag sollte Walt die Geliebte wiedersehen. Aber die Redoute wird durch Landestrauer verschoben. Die Brüder leben, ohne zu sprechen, nebeneinander her. Vult rast und verwünscht Stadt und Quartier. Die Armut beginnt auch Walt zu drücken, da er zur Redoute einen Maskenanzug haben muß. Zum Unglück kommt das Manuskript von einem Buchhändler wieder zurück. Eines Tages erscheint Flitte und bietet Walt zum Maskenfest im Namen Raphaelas das Berghabit ihres Vaters als Kostüm an. Bis dahin hat Vult geglaubt, daß Walt in Raphaela verliebt wäre. Nun sieht er an Flittes freundschaftlichem Verhalten, daß vielmehr der lustige Elsässer und Raphaela ein Paar sind, und plötzlich dämmert ihm die Erkenntnis, daß er bei Wina von seinem eigenen Bruder ausgestochen ist. Auf der Redoute, schwört er sich selber, dahinterzukommen.
Am Balltage verläßt Vult bereits morgens die gemeinsame Wohnung. Walt muß sein kärgliches Mahl allein einnehmen. Abends kleidet er sich in das Berghabit Neupeters und bindet nur noch eine blaue Fuhrmannsschürze aus dem Besitz Vults unter. Voller Erwartung betritt er den Festsaal. Wilde, Ritter, Geistliche, Mohren, Göttinnen, Juden, Tiroler, Soldaten umschwirren ihn. Am meisten zieht ihn ein herumrutschender Riesenstiefel an, der sich selbst trägt. Ein altväterischer Schulmeister mit einem Riesenbakel sieht ihn strafend an, so daß er sich scheu in die Menge zurückzieht. Noch immer hat er weder Vult noch Wina gesehen. Endlich trifft er eine Schäferin und eine Nonne und erkennt in ihnen Raphaela und Wina. Flitte entführt Raphaela zum Tanz, er steht mit Wina allein und tanzt nun auch mit ihr fort. Aber Wina muß für sein Tanzen ihre ganze große Nachsicht aufbringen, denn er tanzt naturgemäß abscheulich. Dennoch läßt sie ihm auch den nächsten Tanz, den er, in einem Zuge von Tanzen und Dahingleiten schwärmend, mit ihr herunterrast. Endlich
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