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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Licht durch Glas und redet also: Ich soll dir das älteste Märchen erzählen, aber das uralte Märchen wohnt tief in der hintersten Weltecke. Auf einmal liegt es das Meer hinauf voller reißender Tiere, die im Schlafe sprechen und einander von uraltem Blutdurst und Heißhunger erzählen. Der bösen Feindin wachsen ihre Floßfedern zu riesengroßen Schwingen auf. Der Träumer versinkt in die geflügelten Wogen eines wolkenhohen Meeres, schneidet wie ein Pfeil durch die lange Wüste, immer in der gläsernen Fläche. Draußen liegt »das rechte Land«, von dem leise Töne kommen. Tief hinten im Lande steigen Welten hoch, in der Mitte dreht sich ein Spinnrad, an das die Sterne gereiht sind. An einer Lilie hängt ein Bienenschwarm, eine schwarze Nachtblume wächst gierig in den Himmel. Im rechten Lande schläft alles, nur die Liebe träumt. Ein scharf blitzendes Sternchen quillt am Himmel hoch, ein breiter Blitz legt sich vor das Land. Alles ist verändert. Sterne, Töne, Blumen, alles waren nur Kinder gewesen, die sich liebend umarmen. Die hohe Bildsäule des Donnergottes steht in der Mitte. Ein Kind ums andere fliegt auf seinen steinernen Arm, von dort zur nächsten Wolke, liebend einander beim Aufschweben helfend. Aber das eine Kind entfliegt und verliert sich wie ein ferner Ton. Der Morgenröte gegenüber steht eine neue Morgenröte auf, wie zwei Chöre rauschen beide gegeneinander. Die Kinder sind Götter geworden und sehen sehr ernst nach Morgen und Abend. Die Donnerchöre schwellen ab, zwei Sonnen kommen empor. Amor fliegt im Osten, Psyche im Westen auf, zwei Töne nur, sehr ernst, als sagte Gott sich das erste Wort. Auf einmal steht die böse Feindin wieder im Wasser, aber frierend vor dem gewaltigen Sturm, der kommen wird. Die Unermeßlichkeit gärt zu unzähligen Hügeln auf und zum himmelhohen Sturm, aber tief am Horizont wallet ein sanftes Morgenrot hoch. –
    Dies ist der Traum, den Walt dem aufhorchenden Bruder erzählte. »Was sagst du zu meinem Traum?« fragte er Vult. Der aber antwortet: »Du sollst es sogleich hören in dein Bett hinein«, nimmt die Flöte und geht blasend die Treppe hinunter und immer weiter bis zum Posthaus. Noch von der Gasse herauf hörte Walt die entfliehenden Töne, denn er merkte nicht, daß sein Bruder mit ihnen entfloh. –
     
    Dies ist der Inhalt der »Flegeljahre«. Nicht ohne Absicht wurde der letzte Traum Walts mit solcher Ausführlichkeit erzählt. Denn er gab den Anlaß zu Philipp Otto Runges phantastischer Allegorie »Tageszeiten«, einigen Blättern, die wie Jean Pauls Dichtung ebenfalls dem Bewußtsein unserer Zeit verlorengegangen sind. Vorwegnehmen möchten wir auch, daß die Ballszenen auf der Redoute in ihrem malerischen Durcheinander den »Papillons« von Robert Schumann zugrunde liegen, die ohne die Dichtung fast unverständlich sind. So wirkte das Buch auf die Besten der Zeitgenossen und der unmittelbar folgenden Generation ein, während es merkwürdigerweise auf die weiteren Kreise des deutschen Volkes zunächst ohne Wirkung blieb. Erst die »Levana« erzog ein neues Publikum zur Liebe Jean Pauls. Nirgends läßt sich der stille Wechsel in Jean Pauls Schaffen deutlicher erkennen als an diesem Umschwung des Publikums. Der »Hesperus« hatte ihm die ersten Begeisterten in Scharen zugezogen. Wir sprachen bereits davon, wie gerade die Mitglieder der sich selbst auflösenden Adelskaste sich in seinen Personen, in Viktor und Klothilde, wiederzufinden glaubten. Damals hatten sich die entfesselten Frauen der Adelsklasse ihm zu Füßen geworfen. Als der Dichter im »Titan« seiner Zeit und insbesondere dieser Klasse titanischer Menschen den Spiegel vorhielt, hatten sie ebenso rasch seinem Werk den Rücken gedreht. Jetzt war Jean Paul zu seinem eigentlichen Gebiet zurückgekehrt. In der Figur des Grafen Klothar wird seine Umstellung besonders deutlich. Erst langsam lernte die aufwachsende Generation ihn kennen. Ihr galt er ja noch immer als der Dichter der sentimentalen Epoche, der romantischen Liebessehnsucht. Und doch war wiederum die Freundesliebe in den Mittelpunkt seines Denkens getreten. Nicht um Walt und Wina konzentriert sich das Interesse des Romans, sondern um Walt und Vult. Schicksal sprach sich nicht mehr in dem Sichfinden der Liebenden aus, sondern in den tieferen Spannungen zwischen zwei Menschen, als sie auf der Basis der Erotik möglich sind. Darin liegt der eigentliche Fortschritt der »Flegeljahre«, und dadurch wird das Hineinwachsen des Dichters in

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