Saemtliche Werke von Jean Paul
unendlichen Melodie ist, die sich durch Jahrtausende fortschwingt und sich nur in Jahrtausenden sättigt. Immer zum Höchsten strebend und es nie ganz erreichend, weil die Erde unter dem Fuß sich zwischen Beginn und Ende fortgedreht hat und neue Sonnen schon wieder mit Strahlen heranschießen, indes das Abendrot der alten noch den Horizont färbt.
Ohne Bitterkeit hatte Jean Paul resigniert und sich aus der Zeit in seine eigene poetische Welt zurückgezogen. Und wenn noch irgendeine Bitterkeit in ihm war, so löste sie sich in verstehendem Humor. Wonach er ein Leben lang gerungen hatte: seinen Ernst mit seinem Humor zu verschmelzen, das gelang ihm jetzt in einem Grade, der ihm früher unerreichbar gewesen war. Wir wissen nicht, ob die Resignation in einem besonderen Augenblick über ihn gekommen war. Nur daß er sich mit der Unerreichbarkeit seiner höchsten Ziele abgefunden hatte, steht fest. Eine neue Art, sich selbst und das Leben anzuschauen, tritt mehr und mehr in den Vordergrund seines Denkens. Es war der Blickwinkel, aus dem heraus der alternde Cervantes seinen Don Quixote geschrieben hatte. Dieses Buch, in dem ein Feuergeist sich über den inneren Bankrott seines Lebens hinaushebt, nimmt ihn gefangen. Der Don Quixote ist die Symbolgestalt, die über der letzten Schaffensperiode Jean Pauls steht, bis sie sich zu der Gestalt seines Apothekers Marggraf verdichtet, dieser ins Deutsche übertragenen Don Quixote-Figur seines letzten Romans, des »Komet«. Aber auch schon vor diesem Roman kommt etwas Don Quixotisches in alle seine Gestalten hinein. Auch hier brauchte er nur ein längst schon angeschlagenes Thema fortzuführen. Schon das Schulmeisterlein Maria Wuz wie der Quintus Fixlein hatten in ihrem Leben Chimären nachgejagt. Diese idyllischen Naturen allerdings wußten sie klug zur Steigerung ihres Glücks zu benutzen. Wenn sie sich große Literaten dünkten, so kam von dieser Einbildung ein Hauch Glück mehr in ihr Leben. Aber diese Einbildung brauchte nur ein wenig gesteigert zu werden, so wuchs von hier etwas Don Quixotehaftes in das Leben hinein. Eine gemütliche und harmlose Schwäche wurde zum lebenfressenden Dämon. Wiederum tauchte auch hier das Motiv der »Einkräftigkeit« auf, das mit ernstern Ethos den »Titan« erfüllt hatte, jetzt ins Komische abgewandelt. Man sieht, hier schnitten sich die Linien eines ganzen Lebenswerkes. Wohl wurde auch jetzt noch diese »Einkräftigkeit« als lebenzerreißende und verwirrende Einstellung genommen. Darin lag ja für Jean Paul das Wesen des Humors: daß er die unendliche Idee nicht verkleinert, sondern in ihrer ganzen Unbedingtheit bestehen läßt, sie aber zu dem Endlichen in einen feindlichen Gegensatz stellt und so beide: Idee und Leben einander verschlingen läßt. Die Tragik, die jedem echten Humor zugrunde liegt, wurde ins Transzendente hinausprojiziert. Subjektiv konnte der Held das Erlebnis letzter Erfüllung seines Daseins gewinnen. Nur hoch über ihm, in dem Bereich des ewigen Sinns, schlagen die Wellen der Tragik über ihm zusammen. Man sieht, wie gerade aus seiner Fassung des Humoristischen sich das Don Quixote-Motiv ganz von selbst einstellen mußte.
Die wesentliche Umstellung in Jean Paul war die, daß er sein eigenes Schaffen, soweit er mit ihm in die Zeitgeschichte hatte eingreifen wollen, unter diesem Gesichtswinkel des Don Quixotismus ansehen mußte. Der aussichtslose Gigantenkampf gegen einen widerstrebenden Zeitgeist mußte dem Humoristen schließlich unter der Form eines Kampfes gegen Windmühlen erscheinen. Der metaphysische Humor dieses Bildes allein konnte auch über persönliche Bitterkeit hinausheben, aber es bedurfte schließlich wieder der ganzen lebenverwandelnden Kraft eines echten Humoristen, um sich zu dieser Anschauung zu befreien. Es war also Verzicht, was Jean Pauls letzte Schaffensperiode einleitete, aber es war schließlich auch – und das war das Wesentliche dabei – Emporwachsen in die Region des absoluten Humors. Auch hier lebte der Dichter wieder seinem Volke eine in Ewigkeit gültige Lebensform vor, die gegenüber dem Zustand des Ringens um die Ideale des Lebens kein Zurückgleiten, sondern verklärte Steigerung bedeutete. Kein lässiges Gehenlassen ist das Kennzeichen dieser gereiften Einstellung, sondern noch einmal ein Ringen um ein Lebensganzes auf einer neuen und erhöhten Ebene. Noch einmal war eine ganze Welt mit Gestalten zu bevölkern.
Wenn man lediglich die Seitenzahl der Werke nimmt, die in dieser
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