Saemtliche Werke von Jean Paul
Jean Pauls Schaffen. Schon frühzeitig hatte er sich als Prophet seines Volkes gefühlt, aber gerade aus seinem unproblematischen Dichtertum waren seine Hauptwerke herausgeflossen. Immer wieder jedoch bog er in die Linie eines prophetischen Sehertums ein, besonders seit er in Weimar mit der über dem Volke lagernden Bildungsschicht vertraut geworden war. Über zehn Jahre lang hatte ihn der Plan seines »Titan« beschäftigt, in dem er der Zeit den Spiegel vorhielt. Ein ganzes Jahrzehnt hatte er damit zugebracht, in die religiösen und philosophischen Kämpfe der Zeit einzugreifen. Von dem »Kampanertal« und dem »Jubelsenior« an hatte er den Kantianismus und den Fichteanismus aufs Korn genommen. Aus allen diesen Kämpfen war das Idealbild des deutschen Menschen bei ihm herausgewachsen, nicht nur durch den Helden des »Titan« verwirklicht, in dem gleichen Grade durch seine theoretischen Schriften, die »Vorschule der Ästhetik« und die »Levana«. In seinen ersten politischen Schriften endlich hatte er die Grundlinien einer deutschen Politik zu skizzieren versucht. Auf allen Gebieten war die Entwicklung anders verlaufen, als er es erstrebt hatte. Mußte er sich nicht selbst allmählich wie eine Don-Quichotte-Figur vorkommen, die einen aussichtslosen Kampf gegen Windmühlenflügel geführt? Schon in den »Flegeljahren« hatte er sein eigenes Wesen schonungslos analysiert, die beiden miteinander unvereinbaren Seiten seines Charakters bloßgelegt. Der Schluß des Romans ließ Walt in einer Situation zurück, der er unmöglich gewachsen sein konnte, und sandte Vult in die Heimatlosigkeit hinaus. Es war das schonungslose Fazit eines vergeblichen Lebens, das er hier zog. Jean Paul war am Ende. Wir brauchen uns nur den Bericht des Erlanger Professors Le Pique vor Augen zu führen, um zu erkennen, daß dieser Mann auf der Höhe seines Schaffens bereits innerlich unterhöhlt war. Von dem Zusammenbruch Österreich-Preußens hatte er die Geburt eines neuen Deutschland erwartet. Sie war ausgeblieben. Was konnte jetzt noch kommen?
Eine Periode der resignierten Altersweisheit! Seltsam schattenlos und ohne Bitterkeit tritt diese dritte große Periode seines Schaffens ein, als wäre sie Krönung und nicht Verzicht. So groß war die seelische Kraft dieses Dichters, des Lebens Widersprüche zu versöhnen in dem einen alles Lebendige umfassenden Lebensgefühl. Und in gewissem Sinne war diese letzte Periode seines Daseins auch Krönung alles Bisherigen. Wonach sich der Jüngling und der Mann gesehnt hatte, das umgab ihn jetzt in Fülle. Ein Volk schaute bewundernd zu ihm auf. Ein heiter gemütlicher Familienkreis umfing ihn, nachdem das zunehmende Alter auch die Gegensätze zwischen ihm und Karoline ausgeglichen hatte. Weitab lagen Nahrungssorgen, besonders seitdem ihm Dalberg die Pension gewährt. Sein Leben umstanden die geliebten Gestalten seiner Jugend. Täglich sah er das Wunderland der Eremitage vor seinen Augen liegen, wenn er in der Rollwenzlei arbeitete. Nur im letzten und höchsten Sinne war alles irgendwie vergeblich gewesen. Nach außen hin hatte sich dieses Leben in Vollendung geschlossen. Was ihm versagt war: die letzte Wirksamkeit als Führer des Volkes, das mußte ihm mehr als ein allgemeines Schicksal alles Lebendigen denn als persönliches Ungemach erscheinen. Und so war es in der Tat. Gab es denn überhaupt Leben, dem alle Blütenträume reiften? Die Unzulänglichkeit des Lebens überhaupt hatte er verspüren müssen, nicht seines besonderen Lebens. Vergeblich hatte er für menschliche und politische Ziele gestritten, aber gab es überhaupt restlose Erfüllungen? Lagen nicht immer Aufgaben in der Ewigkeit? War es nicht im tiefsten Grunde der Sinn des Lebens, daß immer noch so viel zu tun übrigblieb? Gewiß war er ein Dichter gewesen, aber war er nicht auch, wie er von seinem Herder geschrieben hatte, noch viel mehr als ein Dichter, nämlich ein Gedicht, ein »griechisch-indisches Epos, von einem reinsten Gotte geschrieben«? Eines, in dem Taten und Erfüllungen sich kreuzen und in dem doch schließlich alles in ein ewiges Geschehen einmündet, ohne selbst zu einem, jede Entwicklung abschließenden Ende gekommen zu sein? Kunstwerke höchster Potenz waren diesem Leben entquollen, und doch blieben sie alle irgendwie fragmentarisch, wie das deutsche Schicksal mit seinem ewigen Auf und Nieder ein Fragment blieb. Gerade darin erscheint er so unvergleichlich als Ausdruck seines Volkes, daß er wie ein Stück jener
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