Saemtliche Werke von Jean Paul
nur noch darauf an, seinen fürstlichen Vater zu finden, um sogleich den Thron zu besteigen. Das Thema der großen Romane ist hier ins Komische umgewandelt. Einen Helden zur höchsten Aufgabe, zum Herrschen, hinanzuführen, ist Aufgabe des Entwicklungsromans. Aber ein Held, der ein Fürst zu sein glaubt und, von niemandem anerkannt, mit fürstlicher Pracht durch die Lande zieht, ist Objekt rein humoristischer Darstellung. Der Ausgangspunkt einer solchen Gestalt ist falsch oder doch zum mindesten höchst zweifelhaft, und von diesem falschen Ausgangspunkt aus muß ein komischer Kontrast zwischen der eingebildeten Welt des Helden und der Welt üblicher Wertung entstehen. Das Zusammenprallen der idealen Welt eines Helden mit der harten Wirklichkeit ist tragisch, das Auseinanderfallen aber einer eingebildeten und der wirklichen Welt ist komisch. Albano–Marggraf, diese beiden bezeichnen den Gegensatz des Helden und der komischen Figur.
Wie aber der Held das Komische streifen kann, so kann die komische Figur durch die Verstiegenheit ihrer verkehrten Weltschau bis dicht an die Tragik herangeführt werden. Schon Don Quixote streift das Tragische, denn um seinen Irrtum aufrechtzuerhalten, muß er Eigenschaften des wahren Ritters und Helden an den Tag legen, und dieser Irrtum selbst fließt aus einem heroischen Herzen. Ja noch mehr, wie sehr ist dieser Blickwinkel zur Welt der Selbstkontrolle entzogen! Steht nicht jede Größe unter dem Zweifel, irgendwie Don Quixote zu sein? Kann nicht selbst der offenbare Erfolg lügen, da auch er dem Schein der Täuschung zu unterliegen vermag? Es gab gewiß Augenblicke, in denen sich Jean Paul selbst mit »Fibel«, diesem Don Quixote der Literatur, identisch fühlte. Gerade die Beschäftigung mit seiner Jugend konnte ihm solche Zweifel aufkommen lassen. Mit Don Quixotehafter Hartnäckigkeit hatte er ein Hungerjahrzehnt hindurch sein Künstlertum hochgehalten, als niemand daran glaubte. Zehn Jahre lang hatte er durch seine Satiren die Welt zu bezwingen geglaubt und war doch bloß ein armer Narr gewesen, über den die Leute sich lustig machten. Und im tiefsten Grunde mit Recht, obwohl ein tiefdurchdachtes System der Poetik dieser Satirendichtung zugrunde lag. Er war der Welt gegenüber im Unrecht gewesen, nur weil er an ein Weltbild anknüpfte, das gerade vorübergegangen war. Kein Zweifel, er selber war zehn Jahre seines Lebens hindurch ein solcher Don Quixote gewesen. Und war es vielleicht noch immer. Hatte er nicht vergeblich gehofft, die Welt durch sein Schreiben in eine andere Richtung zu stoßen? War es nicht längst offenbar geworden, daß ihm sein ganzes Streben mißglückt war, daß er fern jeder tieferen Einwirkung auf die Zeit nur ein eigenbrötlerischer Sonderling war, dessen Streben wohl Achtung, selbst Ehrfurcht erwecken konnte, das aber doch letzten Endes bedeutungslos genannt werden mußte? Gerade der Dichter unterliegt solchen Stimmungen, weil sein Werk abgetan hinter ihm liegt und sich so schwer in seiner ganzen Fülle vergegenwärtigen läßt. Wie fern lagen ihm die gewaltigen Leistungen seiner Romane, als diese Stimmungen in ihm überhandnehmen! Im Grunde wußte er natürlich, daß er kein Don Quixote war. Aber es war eben genügend davon in seinem Wesen vorhanden, daß er eine solche Figur aus sich heraus stellen konnte. Im »Dr. Katzenberger« hatte er seiner Gefühlswelt die Kehrseite vorgehalten, im »Leben Fibels« hatte er sein Leben ins Don Quixotehafte gewendet. Jetzt wollte er noch einmal in einer großen Konzeption dieses Thema ausschwingen lassen, eine rein komische Gestalt auf die Beine stellen, in der aber gleichzeitig die ungeheure und doch so verständliche Verstiegenheit eines so komisch und so tragisch Besessenen eingefangen war.
Der »Don Quixote« war das klassische Urbild eines komischen Romans, in dem ein ganzes Volkstum sich spiegelte. Mit dem »Komet« hatte Jean Paul Ungeheures im Auge. Sollte es ihm gelingen, in seinem Apotheker eine solche Gestalt für das deutsche Volk zu schaffen, wie sie »Don Quixote« für das spanische war? In seiner Vorrede hat er diesen Gedanken abgewiesen, und doch hat er ihm vorgeschwebt. Wenn sein letzter Roman sein ganzes Lebenswerk krönen, wenn sein gewaltiges Können in ihm den Gipfelpunkt erreichen sollte, dann mußte er ein solches Gipfelwerk der Menschheit ins Auge fassen. Hier war das Größte anzustreben. Eine heroische Verstiegenheit war zu ihrem äußersten Gipfel zu treiben und dabei das tragisch
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