Saemtliche Werke von Jean Paul
Überspannte eines ganzen Volkes mit hochzureißen. Ob dem Dichter dieses höchste Ziel erreichbar war, wissen wir nicht. Das Werk blieb Fragment, nicht aus inneren Gründen, wie sie ihn die Arbeit an der »Unsichtbaren Loge« oder an den »Flegeljahren« rechtzeitig abbrechen ließen, sondern aus den äußeren des Alters und der zunehmenden Erkrankung. Aber daß wir in den drei erschienenen Bänden des »Komet« die erste Hälfte eines solchen Nonplusultra-Werkes vor uns haben, ist unleugbar.
Schon der Anfang der Selbstbiographie hatte Jean Paul in die Bezirke seiner Kindheit und ersten Jugend zurückgeführt. In der Geschichte des Apothekers Nikolaus Marggraf rollt er noch einmal sein Leben vor uns auf, wie er es früher in seinen großen Romanen getan hatte. Es gab, wie gezeigt, in seiner Jugend Momente, in denen eine überspannte Einbildungskraft sein Verhältnis zur Wirklichkeit willkürlich zu verändern drohte. Die Gefahr dieser verfälschenden Phantasie wurde in seinem letzten Roman, dem »Komet«, zum Ausgangspunkt des Ganzen gemacht, die Momente, in denen diese, aus den Wurzeln alles Künstlertums genährte Einbildungskraft die Wirklichkeit zu überwuchern droht, wurden herausgehoben, um jene gigantische Verstiegenheit langsam vor uns erstehen zu lassen.
Ursprünglich sollte der Roman im Mannesalter des Helden beginnen. Die Vorgeschichte, die den Grund zu dem Wahnsinn Marggrafs legt, sollte nur nebenbei, eben als Vorgeschichte, herangezogen werden. Das hätte den Vorteil gehabt, daß dieser Wahnsinn sich mehr aus sich selber heraus entwickelt, während wir ihn jetzt bereits in den Eltern begründet wissen. Aber der Dichter konnte nicht darauf verzichten, seinen Helden von der Geburt an dem Leser nahezubringen. Die Kindheitsgeschichte des Helden war ihm in allen seinen Romanen so sehr ein allerwichtigster Teil der Dichtung gewesen, daß er auch jetzt diese Kindheit uns vor Augen führt. Im Mannesalter, in dem dann der eigentliche Roman einsetzt, wird für den Wahnsinn des Apothekers ein neuer Ausgangspunkt geschaffen, ohne den jener Hauptwahnsinn nur als eine unschuldige Marotte fortgelebt hätte.
Jean Paul läßt seinen Helden in dem Landstädtchen Rom der Markgrafschaft Hohengeis geboren werden. Schon in dem Namen der Geburtsstadt wird gewissermaßen das Hauptthema der Geschichte angegeben. Immerhin heißt dieser Ort Rom, wenn er auch nicht das welthistorische Rom am Tiber ist. Und der Familienname des Helden heißt immerhin Marggraf, auch wenn dieser Name mit dem Markgrafenamt des Landesherrn nichts zu tun hat. Aber diese Namen, der Geburtsstadt und des Geschlechts, deuten doch immerhin, wenn auch nur äußerlich, auf Höheres hin und unterstützen den Wahn des Apothekers, unter dem Gebot höherer Sendung zu stehen. In diesem Landstädtchen Rom also lebt der Apotheker Henoch Elias Marggraf. Auf einer Badereise lernt er seine spätere Frau kennen, die italienische Sängerin Mara oder Margarethe, die gerade in dem Bad Margarethahausen durch häufiges Auftreten vor den anwesenden Fürstlichkeiten ihren artigen Vorrat an Schmucksachen und Diamanten aufs angenehmste vervollständigt. Als der schmutzig-geizige und habsüchtige Apotheker um sie wirbt, nimmt sie zum Erstaunen aller die Werbung an, stellt aber zur Bedingung, daß sie die Saison des Badeortes noch voll ausschöpfe, womit der auf Reichtum bedachte Werber durchaus einverstanden ist. Schließlich drängt die angeschwärmte Schöne selbst mit überraschender Eile zur Hochzeit, die denn auch ohne Säumnis gefeiert wird. In neun außerordentlich knapp bemessenen Monaten beschenkt Mara ihren Gatten mit einem gesunden Knäblein, dessen Ähnlichkeit mit dem glücklichen Vater nicht überall einleuchten will. Auf seiner edelgeformten Nase, die sich nachdrücklich von der kurzen des Vaters unterscheidet, bilden zwölf Pockennarben ein eigenartiges Erkennungszeichen, und bald stellt sich noch eine andere Eigentümlichkeit heraus: der Knabe ist elektrisch, sein Haupthaar leuchtet, besonders bei starken Erregungen, wie ein Heiligenschein auf.
Aber nicht das ist es, was den Vater enttäuscht. Viel tiefer trifft es ihn, daß die Schmucksachen der Sängerin unecht waren außer den goldenen Fassungen, und daß der Knabe schon früh einen unwiderstehlichen Hang zu Mildtätigkeit und Gutmütigkeit offenbart, der im Verein mit den getäuschten Hoffnungen des Vaters das Schlimmste befürchten läßt. Indessen soll die Ehe nicht allzulange dauern. Mara legt sich
Weitere Kostenlose Bücher