Saemtliche Werke von Jean Paul
Sachdefinition, die er von einem Kusse im Kopfe hat, ordentlich hinein und zitiert den Paragraphen, wo’s steht; der ganze Inhalt des dummen Paragraphen ist aber der, die eigentliche Sache sei ein Zusammenplätten roter Häute. Wahrlich ein Autor von Gefühl kann sich nicht niedersetzen und bedenken, daß ein Kuß eines von den wenigen Dingen ist, die nur genossen werden, wenn unter dem Geistigen das Körperliche nicht vorschmeckt – ohne daß ein solcher Autor von Gefühl (es ist niemand als ich) die ausfilzet, die nicht so viel Verstand haben wie er – er filzet nicht bloß die Herren Veit Weber und Kotzebue , in deren Schriften zu viele Küsse stehen, sondern auch andre Leute aus, in deren Leben zu viele kommen, namentlich ganze Pickenicks, die einander nach dem Tischgebet die Wangen mit den Lippen abbürsten und anschröpfen. Kommt es gar so weit, daß diese schöne Lippenblüte unsers Gesichts sich an Häuten von Schafen und von Seidenraupen, an Handsandalen, zerknüllen muß: so will ein Autor von so viel Empfindung der leidenden Partei die Hände und der tätigen die Lippen wegschneiden….
Ich begieße den vom letzten Kusse erhitzten Leser mit diesem kalten Wasserschatze wirklich nicht deshalb, um mit ihm so umzuspringen wie das Schicksal mit mir; denn dieses hat sichs einmal zum Gesetz gemacht, jedesmal wenn ich mitten im Freudenöl solcher Auftritte wie der Gustavische – oder auch nur der Beschreibung solcher Auftritte – stehe, mich sogleich in Salzlaken und Vitriolöle unterzutauchen. Sondern ich wollte gerade umgekehrt die häßliche Empfindung über den Tausch entgegengesetzter Szenen dem Leser halbieren, die der arme Gustav ganz bekam, da es unten rief:
»Wollt ihr gleich!« Die Rittmeisterin legte in den Ton mehr Beleidigendes, als mein unschuldiger Gustav noch zu fühlen verstand. Die Liebhaberin verliert in solchen Überraschungen den Mut, den der Liebhaber bekommt. Die ersten Versikel des abgefluchten Strafpsalms durchlöcherten das Ohr der schuldlosen Regina, welche stumm und weinend aus dem Garten schlich und so den freudigen Tag trübe beschloß. Die sanftern Verse erfaßten den Geschichtdichter, der seine Contes moraux ästhetisch und mit Pathos auszumachen vorhatte und nun selber von einem fremden Pathos erwischt wurde. Ernestinens Herz, Lippen und Ohren waren hinter den strengsten Gittern erzogen; daher wich ihre so melodische Seele (bei einem bloßen Kuß) in eine fremde harte Tonart aus; sie gab vom schönsten Mädchen nichts zu, als: »Ein gutes Mädchen ists.« Überhaupt ist mir die Frau, die gewisse Fehltritte einer andern sehr schonend beurteilt, mit ihrer Duldung verdächtig: eine ganz reine weibliche Seele erzwingt an sich höchstens die Miene dieser Toleranz für eine weniger reine.
Auf unschuldige Lippen drückte Gustav den ersten und letzten Kuß; denn in der Pfingstwoche zog die Schäferin nach Maußenbach als Schloß-Dienstbote. Wir werden nichts mehr von ihr hören. – So wird es durch das ganze Buch fortgehen, das wie das Leben voll Szenen ist, die nicht wiederkommen. Nun tritt schon die Sonne höher an Gustavs Lebenstage und fängt an zu stechen – eine Blume der Freude um die andre bückt sich schon vormittags zum Schlummer nieder, bis nachts um 10 Uhr der gesenkte Flor mit verschwundnen Blüten schläft….
Achtzehnter Sekto r
Scheerauische Molukken – Röper – Beata – offizinelle Weiberkleider – Oefel
Ich würde närrisch handeln und schreiben, wenn ich – da uns alle, Leser sowohl als Einwohner dieser Biographie, Scheerau so nahe angeht; da Gustav, der Held, dahin als Kadett kommt; da ich, der Hofmeister, daraus komme; da Fenk, der Doktor, noch daselbst ist und da Fenk in dieser Geschichte noch wichtig werden kann – drei Papiere von Dr. Fenk trotz aller dieser Gründe nicht einrückte. Die Rede ist von zwei Zeitungsartikeln und einem Brief, die der Pestilenziar geschrieben.
Ich weiß gewiß, daß es einigen hohen Fremden, die durch die scheerauischen höhern Zirkel gereiset, bekannt ist, daß der Doktor eine Zeitung schreibt, die nicht gedruckt wird, nämlich eine geschriebne Gazette oder Nouvelles à la main, wie mehre Residenzstädte sie haben. Dörfer haben gedruckte Neuigkeiten, kleine Städte mündliche, Residenzstädte schriftliche. Das Papier ist Fenks Marforio und Pasquino, der seine satirischen Arzneien austeilt.
Seinen ersten Zeitungartikel flecht’ ich ein, schon bloß des Journals für Deutschland wegen. Dieses so platte und so
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