Säule Der Welten: Roman
albern.«
Wie sich herausstellte, hätte nicht viel gefehlt, und sie wären nicht nur über Sacrus, sondern auch über die Positionen der Ratsallianz hinausgeschossen. Zum Glück hatten mehrere Hundert Augenpaare ihren Flug über Spyres gewölbten Himmel verfolgt, und Veneras Heer hatte sie und Jacoby zuerst erreicht. Sarto schien darüber nicht allzu unglücklich zu sein, und das war aufschlussreich. Noch bedeutsamer war, dass jeder sie »Lady Thrace-Guiles« nannte, was bedeutete, dass die Nachricht von ihrem Betrug noch nicht über Liris hinausgelangt war. Hier war Venera immer noch ein geachtetes Staatsoberhaupt.
Sie freute sich über das zweifelhafte Kompliment. Der Kommandant stand mit dem Rücken zu einer Ziegelwand, eine schwankende Lampe warf lange Schatten über die Knöpfe seiner Jacke. Adjutanten und andere
Offiziere eilten geschäftig umher, manche schoben kleine Spielfiguren über das Kartenbrett, andere lasen oder schrieben Depeschen.
Venera roch Maschinenöl und nassen Zement. Die Armee der Allianz hatte ihr Hauptquartier in einem etwa zwei Kilometer von Liris entfernten Lokschuppen der Konservationisten aufgeschlagen; hier waren die Mauern dick genug, um alles abzuhalten, was Sacrus bisher verschossen hatte. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sich Venera ein klein wenig sicherer.
»Diese Extravaganz wäre nicht nötig gewesen, wenn die Lage nicht so verzweifelt wäre«, sagte Venera. Es reizte sie, den Mann dafür zu rügen, dass er gezögert hatte, Liris mit seinen Truppen zu Hilfe zu kommen; aber sie stellte fest, dass sie den Geschmack an solchen Vergnügungen verloren hatte. So sagte sie nur: »Berichten Sie mir von den Vorgängen hier draußen.«
Der Kommandant beugte sich über das Brett und zeigte auf die kleinen Spielfiguren. »Es ist überall in Groß-Spyre zu Kampfhandlungen gekommen«, sagte er. »Sacrus hat in den meisten Fällen gewonnen.«
»Und was machen sie jetzt? Erobern sie die Länder?«
»In ein oder zwei Fällen schon. Hauptsächlich unterbrechen sie die Eisenbahnlinien der Konservationisten. Und sie haben alle Fahrstuhlkabel in ihre Gewalt gebracht oder durchtrennt.«
»Durchtrennt?« Selbst für jemanden, der wie sie von außerhalb kam, war das eine erschreckende Vorstellung.
Einer der Adjutanten zuckte die Achseln. »Das geht ganz leicht. Sie nehmen sie als Ziele für ihre Schießübungen.
Schwierig sind nur Linien, die wie Liris am Rand der Welt liegen. Dort werden die Kugeln vom Wind abgelenkt.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Warum verwenden sie dann nicht einfach stärkere Waffen?«
Der Adjutant schüttelte den Kopf. »Alte Verträge. Die Mündungsgeschwindigkeiten sind begrenzt, um zu verhindern, dass versehentlich die Hülle der Welt durchschlagen wird.«
»Die Kabel sind ohnehin nicht von Bedeutung«, sagte der Kommandant mit einer ungeduldigen Geste. »Der Krieg wird hier auf Groß-Spyre entschieden. Die Stadt muss einfach abwarten, wie es ausgeht.«
»Nein, sie kann nicht warten«, sagte sie. »Darum geht es doch schließlich bei alledem. Nicht um die Stadt, aber um den Hafen.«
»Den Hafen?« Der Kommandant riss die Augen weit auf. »Das ist das Letzte, was uns Kopfzerbrechen bereitet.«
»Ich weiß, und damit rechnet auch Sacrus.« Sie sah ihn böse an. »Alles, was hier unten geschieht, soll nur vom eigentlichen Ziel ablenken. Alles außer …« Sie deutete mit einem Nicken zu Liris hin.
Jetzt waren beide etwas verlegen geworden. »Lady Thrace-Guiles«, sagte der Kommandant, »die Kriegsführung ist eine ganz besondere Kunst. Vielleicht sollten Sie die Einzelheiten den Leuten überlassen, die diese Kunst zum Beruf gemacht haben.«
Venera wollte ihn schon anschreien, aber sie besann sich und holte nur tief Luft. »Können wir uns wenigstens so weit einigen, dass wir Liris aus Sacrus’ Würgegriff befreien müssen?«
»Ja«, sagte er und nickte energisch. »Wir müssen unsere Führung in Sicherheit bringen. Zu diesem Zweck«, er zeigte auf den Tisch, »empfehle ich einen Direktangriff an der inneren Mauer.«
Für einen Moment war die Versuchung so stark, dass Venera zögerte. Der Kommandant wollte geradewegs auf die Mauern losgehen und die Gruppe, die am Rand der Welt festsaß, ihrem Schicksal überlassen. Er wusste nicht, dass sich die Leute, die er retten wollte, genau dort befanden. Guinevera und seine Anhänger hatten sich zu ihren Feinden gemacht, und Venera könnte einfach … vergessen, dem Kommandanten von ihnen zu erzählen. Jetzt, wo
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