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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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ein Land gestohlen«, hatte sie geantwortet, und natürlich hatte sie auf etwa zwanzig verschiedene Arten gebeten, man möge sie doch freilassen. Sie war davon ausgegangen, dass man Lösegeld für sie verlangen oder sie in irgendeiner Weise als Druckmittel einsetzen wollte. Demzufolge hatte sie sich Stunde um Stunde den Kopf darüber zerbrochen, wie viel sie wohl diesem oder jenem Staat, dieser oder jener Person wert sein mochte. Dass Liris sie in die Reihen seiner Bürger aufnehmen wollte, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen.
    Als sie jetzt begriff, was tatsächlich vorging, war dies einer der seltsamsten Momente ihres Lebens. Für eine Sekunde empfand sie Erleichterung bei der Vorstellung, den Rest ihres Daseins hier zu verbringen, versteckt wie ein Edelstein in einem Safe. Dann schüttelte sie sich, und es war vorüber. Verwirrt stand sie auf und drehte Moss den Rücken zu.
    »A-aber die Aussichten sind gut«, sagte Moss und sah dabei aus, als flehe er um den Tod. »K-keine Sorge. Sie haben b-bisher alle P-Prüfungen b-bestanden. N-nur noch ein letzter Satz Formulare.«
    Venera kaute an ihrem Fingerknöchel, jeder Biss jagte kleine Schmerzwellen durch ihren Unterkiefer. »Aber wenn ich nun gar kein Bürger von Liris werden will?«
    Moss fing an zu lachen, und Venera gelobte sich, alles tun zu wollen, um das nicht mehr sehen zu müssen.
»F-füllen Sie die noch aus«, sagte er. »D-dann sind Sie f-fertig.«
    Venera unterzeichnete die Papiere, aber nicht etwa, weil sie es nicht erwarten konnte, Bürgerin einer Nation von der Größe eines Gartens zu werden. Sie wollte nur ihre Sachen zurückhaben - und diesen Warteraum verlassen. Was sie eben noch empfunden hatte, war nur ein heftiges Verlangen nach Anonymität gewesen, sagte sie sich. Bürger irgendeiner Nation zu sein, bedeutete ihr nichts, es war höchstens Ausdruck eines niedrigen Standes. Ihr Vater war schließlich auch kein Bürger von Hale, er war Hale, und alle anderen waren seine Bürger. Venera war in dem Glauben aufgewachsen, ebenfalls über solchen Zuordnungen zu stehen.
    »Kommen Sie«, sagte Moss nur, als sie fertig war. Er führte sie hinaus in den Korridor und schloss die große Metalltür mit dem vergitterten Fenster an seinem Ende auf. Bevor er sie aufdrückte, griff er nach einem offenen Kasten und hielt ihn ihr hin.
    Darin lagen das Armband und die Ohrringe aus ihrer Jacke, die er bei ihrer Ankunft beschlagnahmt hatte. Daneben kullerte ihre Kugel herum.
    Der Schlüssel zu Candesce fehlte.
    Venera runzelte die Stirn, beschloss aber, die Sache im Moment auf sich beruhen zu lassen. Moss ließ ihr mit einer Handbewegung den Vortritt, und sie drängte sich an ihm vorbei in ihre neue Heimat.
    Im trüben Sonnenlicht zeichneten sich hohe Steinpfeiler ab. Bögen und Kapitelle waren in Schatten gehüllt, aber die blanken Böden glänzten wie Spiegel. Bis auf eine Wand, hinter der vermutlich der Innenhof anfing, schien das untere Stockwerk des riesigen Würfels
ein einziger offener Raum zu sein. Sie sah Dutzende und Aberdutzende von Stellwänden, Schreibtischen, Werkbänken und Verkaufsständen.
    Hier schienen tatsächlich alle Berufe einer mittelgroßen Stadt vertreten zu sein - der Schneider da drüben, der Arzt dort, der Tischler auf dieser, der Maurer auf jener Seite -, aber alle in einem Raum versammelt. Tuchballen und Zementsäcke waren nebeneinandergestapelt. Trockengestelle und Webstühle hatte man zur Decke hochgezogen und eingeklappt, um Platz für Hackklötze und mehlbestäubte Theken zu schaffen. Und überall in diesem von Schatten zerschnittenen Raum arbeiteten Menschen, hoch konzentriert und in verbissenem Schweigen - eine kleine Armee.
    Jeder saß allein auf einem Stuhl oder an einem Tisch, und Venera hatte in einigen Fällen das beklemmende Gefühl, die Arbeitsplätze seien um die Menschen herumgewachsen, durch Sekretion entstanden wie die Schalen von bestimmten Wassertieren. Jener Mann dort musste Jahre gebraucht haben, um die kleine Stufenpyramide aus grünen Flaschen auf seinem Schreibtisch zu errichten. Nicht weit davon hatte sich eine Frau in einem Miniaturdschungel aus Farnen vergraben. Raffiniert angebrachte Spiegel auf Ständern oder an Seilen lenkten jeden Lichtstrahl, der sich in einen Umkreis von drei Metern verirrte, auf die grünen Wedel. Auf jedem Platz hatte sich die Individualität, ja die Verschrobenheit des Inhabers in irgendeiner Weise Bahn gebrochen, aber die unsichtbaren Grenzen blieben streng gewahrt; nirgendwo

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