Säule Der Welten: Roman
Als ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie die Läufe dreier antik aussehender Flinten auf sich gerichtet. Die Waffen befanden sich in den Händen grimmiger Männer in eisernen Rüstungen.
Die Soldaten standen in krassem Gegensatz zu ihrer Umgebung. Der ganze Hof war voller Bäume, alle von der gleichen Art, alle voll erblüht. Der Duft und die
Farbe der Millionen von Blüten waren überwältigend. Venera merkte nicht sofort, dass viele Äste mit Edelsteinen behängt waren und einige der Stämme goldene Ringe trugen. Und noch später sah sie, dass auf dem einen freien Fleck im Zentrum des Hofes ein Thron stand. Die Frau, die sich darauf räkelte, beobachtete sie mit unverhohlener Belustigung.
Sie trug ein Gewand aus Gold, Silber und Platin; auf ihrem Kopf saß eine mit bunten Edelsteinen besetzte Krone, die in Candesces Schein blitzte und funkelte. Die Frau war in den mittleren Jahren, aber immer noch schön; dichtes Haar, in der Farbe der Blüten getönt, fiel ihr wie ein Wasserfall über die Schultern.
»Sie scheuen offenbar das Sonnenlicht«, sagte sie sichtlich erheitert. »Und ich kann mir auch denken, warum.« Sie klopfte sich auf die Wangen. Ihre Augen funkelten.
Venera warf einen Blick auf die Soldaten, überlegte und ging dann auf die Frau zu. Da der Stuhl offensichtlich eine Art Herrschersitz war, verneigte sie sich tief. »Majestät …?«
»O nein, nein.« Die Frau lachte leise. »Ich bin keine Königin.« Sie machte eine abfällige Handbewegung. »Liris ist eine Meritokratie. Das werden Sie schon noch lernen. Ich heiße Margit, und ich bin die Botanikerin dieser Nation.«
»Botanikerin …« Venera richtete sich auf und betrachtete die Bäume ringsum. »Dann sind das wohl Ihre Erzeugnisse?«
»Ich darf doch bitten!« Die Dame namens Margit runzelte die Stirn. »So prosaisch sprechen wir hier nicht von Liris’ Schätzen. Diese Geschöpfe sind Liris.
Sie ernähren uns. Sie geben uns Sinn. Sie sind unsere Seele.«
»Ich bitte um Vergebung«, sagte Venera und verneigte sich wieder. »Aber … was sind sie denn eigentlich ?«
»Natürlich.« Margits Augen wurden groß. »Sie haben so etwas sicher noch nie gesehen. Sie können sich glücklich schätzen, sie zum ersten Mal zu erleben, wenn sie gerade in Blüte stehen. Das, Bürgerin Fanning, sind Kirsch bäume.«
Woher kam ihr das Wort so bekannt vor? Sie erinnerte sich an einen Ball, bei dem ihr geliebter Onkel auf sie zugekommen war und etwas in der Hand gehalten hatte … eine besondere Leckerei.
»Was sind Kirschen?«, fragte sie mit Unschuldsmiene.
»Ein Luxusartikel für die Mächtigen«, erklärte Margit lächelnd. »Eine Delikatesse, die so selten ist, dass sie den Hof Ihres Vaters offenbar nie erreichte.«
»Wenn wir schon dabei sind«, sagte Venera. »Beim Hof meines Vaters, meine ich. Meine Familie ist märchenhaft reich. Warum machen Sie mich zur … Bürgerin dieses Staates, wenn Sie mich doch nur zum Freikauf anzubieten brauchen? Sie könnten ein ganzes Schiff voller Schätze für mich bekommen.«
Margit lachte höhnisch. »Wenn Sie Prinzessin eines richtigen Reiches wären, könnten wir das in Erwägung ziehen. Aber Sie stammen ja nicht einmal von einer der Prinzipalitäten! Wie Sie selbst bei den Befragungen ausgesagt hatten, kommen Sie aus der sturmumtosten Ödnis des Äußeren Virga. Dort gibt es nichts, und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Ihr Volk etwas besitzen könnte, was für uns von Interesse wäre.«
Venera kniff die Augen zusammen. »Nicht einmal eine Flotte von Schlachtkreuzern, die diesen Staat aus dreißig Kilometern Entfernung zu Kleinholz machen könnte?«
Damit rief sie nicht nur bei Margit, sondern auch bei den Soldaten Gelächter hervor. »Spyre kann man nicht drohen, junge Dame. Wir sind uneinnehmbar.« Das klang so selbstgefällig, dass Venera sich schwor, einen Weg zu finden, um ihr irgendwann das Gegenteil zu beweisen.
Margit schnippte mit den Fingern, und Moss trat vor. »Mach sie mit ihren neuen Pflichten vertraut«, befahl die Botanikerin.
Moss sah sie mit offenem Mund an. »W-was denn für Pflichten?«
»Sie kennt die Sprachen anderer Staaten und ist mit ihren Kulturen vertraut. Sie wird als Dolmetscherin für die Handelsdelegation tätig sein. Stelle sie den anderen vor.« Damit wandte sich Margit ab, schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und ließ sich das Gesicht von der Sonne bescheinen.
An ihrem siebzehnten Geburtstag schlich sich Venera zum ersten
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