Säule Der Welten: Roman
quollen Andenken oder Kuriositäten über einen Radius von etwa zwei Metern hinaus.
Moss führte Venera zu einer Außenwand und öffnete dort die Tür zu einem düsteren Raum, der sie an Diamandis’ Höhle erinnerte. Die Kisten und Verschläge hier schienen Rüstungen zu enthalten - aber sie wusste, was es tatsächlich war. »Sie müssen bei Tag mindestens zweihundert K-Kilo Masse tragen«, sagte Moss. »Zum Ausgleich für unsere v-verringerte Sch-Schwerkraft und um zu gewährleisten, dass Ihre K-Knochen gesund bleiben.« Er trat zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, während Venera den Kram durchsuchte, um etwas Passendes zu finden.
Spyres Schneider waren nicht gerade sehr fantasievoll. Sie fand Unmengen von Blusen, Kleidern und Röcken, Hosen und Jacken, aber alles war aus fein ziseliertem und mit Scharnieren versehenem Metall gemacht. Nur die Unterwäsche - das, was unmittelbar mit der Haut in Berührung kam - bestand aus geschmeidigerem Material, zumeist aus Leder, aber zu ihrer Erleichterung fand sie auch ein paar Teile aus Stoff. Sie probierte eine Weste aus grün angelaufenen Kupferschuppen an, nahm einen Rock aus überlappenden Eisenplatten dazu und wog sich. Noch keine fünfzig Kilo. Sie suchte weiter und förderte Arm- und Beinschienen, einen Halsring aus Platin und eine Stahljacke mit Schößen zutage. Schon besser, aber immer noch zu leicht. Moss wartete geduldig, während sie sich auftakelte wie ein Schlachtschiff. Erst als die Waage endlich ein Gewicht von fünfzig Kilo - zweihunderfünfzig Kilo Masse - anzeigte, knurrte er befriedigt. »A-aber S-Sie b-brauchen n-noch einen H-Hu-Hut«, sagte er.
»Was?« Sie sah ihn empört an. Er hatte sich so etwas wie einen Belegnagel auf den Kopf gebunden; das Ding
wackelte bei jeder Bewegung. »Ist das alles nicht schon demütigend genug?«
»Wir m-müssen D-D-Druck auf die W-W-Wirbelsäule bringen. D-damit Sie auf D-Dauer g-gesund bleiben.«
»Na schön.« Sie wühlte sich durch ein Sammelsurium von lächerlichen Kopfbedeckungen, die Auswahl reichte von Blumentöpfen mit Kinnriemen bis zu einem gläsernen Fischglas, das derzeit leer, aber mit Kalk verkrustet war. Schließlich entschied sie sich für das Stück, das ihr am wenigsten zuwider war, einen Chromhelm mit Ohrenklappen und Vogelschwingen an den Schläfen.
Als sie alles anhatte, erzeugten ihre Füße bei jedem Schritt einen dumpfen Ton, der sehr befriedigend klang. Sie spürte das Gewicht, und es fühlte sich tatsächlich fast normal an, nur verteilte es sich über ihre ganze Oberfläche, anstatt von innen heraus zu wirken. Und sie stellte bald fest, dass man ordentlich Schwung holen musste, um sich in Bewegung zu setzen, und sich jede Drehung und jedes Anhalten besser gut überlegte. Sie hatte nun eine Trägheit von einer Vierteltonne. Nachdem sie mehrmals gegen Wände und Türstöcke geprallt war, lernte sie allmählich damit umzugehen.
»J-jetzt«, sagte Moss hörbar befriedigt, »sind Sie so w-weit, dass ich Sie zur Botanikerin bringen kann.«
»Zu wem?« Er trat ohne weiteren Kommentar zwischen die Pfeiler. Venera nickte den Männern und Frauen, die ihre Arbeit niederlegten und sie unverhohlen anstarrten, lächelnd zu. Dabei versuchte sie unauffällig herauszufinden, womit sie beschäftigt waren, aber die schwankende Beleuchtung, der Wechsel von
Schatten und grellem Licht vereitelten ihre Bemühungen.
Die Reflexe des Sonnenlichts auf dem blanken Boden ließen alles verblassen, was vor ihr war. Venera schaute noch einmal zurück, bevor sie den hellen Bereich betrat. Tiefe Schwärze und weite Bögen umrahmten ein Dutzend weißer Ovale - Gesichter -, die alle ihr zugewandt waren. Darin spiegelten sich alle Gefühle: Staunen, Neugier, Zorn, Angst. Niemand wich ihrem Blick aus. Man glotzte sie an, als hätte man noch nie einen Fremden gesehen.
Vielleicht war es ja auch so. Venera spürte ein Kribbeln auf der Kopfhaut, aber Moss bedeutete ihr weiterzugehen. Blinzelnd trat sie von der dunklen Galerie in den Innenhof von Liris.
Im ersten Moment kam sie sich vor wie in einem der Deckengemälde in der Kapelle des väterlichen Palastes. Dieses Gemälde konnte sogar mit duftenden rosafarbenen Wolken aufwarten. Doch als sie die Hand ausstreckte, um eine davon zu berühren, hörte sie, wie mit scharfem Klicken eine Waffe gespannt wurde. Sie erstarrte.
»Ich würde Ihnen nicht raten, diese Bewegung fortzusetzen«, kam es gedehnt von irgendwo weiter vorne. Venera zog die Hand langsam zurück.
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