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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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sprechen wollen. Ich fragte daher: »Daß Patienten über ihre Probleme sprechen, möchten Sie nicht?«
    »Sagen wir, ich klammere es aus, zur Verstärkung der Positivität.«
    »Ich schätze, jetzt werden Sie es schwer haben. Sie müssen den anderen helfen, mit dem, was Gina passiert ist, fertig zu werden.«
    Ohne den Blick von mir abzuwenden, griff er in die Tasche und holte ein Päckchen Kaugummi heraus. Er wickelte zwei Stück aus, steckte sie zusammen und fing an, darauf herumzuarbeiten. »Wenn Sie ihre Karte lesen wollen«, sagte er, »mache ich Ihnen gern eine Kopie.«
    »Dafür wäre ich Ihnen dankbar.«
    »Wo soll ich sie hinschicken?«
    »Ihre Frau hat meine Adresse.«
    »Ah.« Er sah wieder zu Ursula hin. Sie war von der Tür abgerückt, kam langsam die Treppe herunter. »So«, fragte er, »die Tochter schläft?« Ich nickte.
    »Wie geht’s dem Mann?«
    »Er ist noch nicht nach Hause gekommen. Irgendwelche psychologischen Einsichten über ihn?«
    Er bewegte den Kopf zur Seite, ins Sonnenlicht, und sein weißes Haar umgab ihn wie ein Heiligenschein. »Scheint ein ganz angenehmer Bursche zu sein, ein bißchen passiv. Sie sind noch nicht lange verheiratet, also ist er ein Spätzünder, pathologisch gesprochen.«
    »War er an der Behandlung beteiligt?«
    »So beteiligt wie nur möglich. Er hat das wenige, das von ihm erwartet wurde, erbracht. Entschuldigen Sie mich!«
    Er wandte sich um, ging rasch auf die Treppe zu und nahm die Hand seiner Frau, als sie herunterkam. Der Versuch, ihr den Arm um die Schultern zu legen, scheiterte, denn er war zu klein. Statt dessen faßte er sie um die Taille und brachte sie zum Saab. Er hielt ihr die Tür zum Beifahrersitz auf und half ihr hinein. Diesmal würde er fahren. Dann kam er auf mich zu und reichte mir seine weiche Hand.
    Wir verabschiedeten uns. »Wir sind gekommen, um zu helfen«, sagte er, »aber es sieht so aus, als ob wir in diesem Augenblick nicht viel tun können. Bitte lassen Sie es uns wissen, wenn sich das ändert. Und viel Glück für das Kind, sie kann es wirklich gebrauchen.«
    Madeleines Angaben waren präzise. Ich fand das Tankard mühelos, knapp unterhalb der Stadtgrenze von San Labrador, dieselbe Mischung aus teuren Geschäften und Dienstleistungsunternehmen, reichlich pseudospanische Missionsarchitektur.
    Ich parkte und entdeckte Anzeichen, die besagten, daß ich nicht mehr in San Labrador war: eine Cocktail-Lounge am Ende des Blocks, zwei Schnapsläden; der eine nannte sich Weinhandlung, der andere Lieferant edler Tropfen.
    Das Tankard and Blade war ein äußerlich bescheiden aussehendes Etablissement: Zweistöckig, dick aufgespachtelter weißer Rauhputz, braune Querbalken, bleiverglaste Fenster und ein falsches Reetdach. Der Parkplatz war mit einer Kette abgesperrt. Ramps Mercedes stand auf der anderen Seite, und so fand ich meine Annahme bestätigt.
    An der Tür des Restaurants besagte ein in Druckbuchstaben geschriebenes Pappschild, das am Türknauf hing: Sonntags-Brunch fällt aus! Vielen Dank.
    Ich klopfte, bekam aber keine Antwort. Also tat ich, als hätte ich ein Recht einzudringen, und klopfte, bis mir meine Knöchel weh taten.
    Endlich öffnete sich die Tür, und eine irritiert aussehende Frau stand da, Schlüsselbund in den Händen. Mitte vierzig, Figur wie eine Sanduhr, betont durch ein Mieder, das Maxikleid mit langen Puffärmeln und einem quadratischen Ausschnitt, der so tief war, daß eine Handbreit ihres von Sommersprossen gefleckten Busenansatzes vorquoll. Ihr platinblondes Haar war straff zurückgekämmt und mit einem weinroten Band gebunden. Der Inbegriff der romantischen Dienstmagd! Im schützenden Dunkel der Barbeleuchtung oder für ein vom Alkohol getrübtes Bewußtsein mußte sie umwerfend sein. Das Morgenlicht jedoch griff ihre Schönheit und ihre Sorgenfalten sowie ihre erschlaffte Haut an. Sie sah mich an mit einem Blick, als wäre ich der Gerichtsvollzieher.
    »Ich würde gern Mr. Ramp sprechen.«
    Sie trommelte mit den karmesinroten Fingernägeln auf das Schild hinter ihr an der Tür. »Können Sie nicht lesen?« Sie zuckte zusammen, als wolle sie bestätigen, daß sie sich verletzt sah.
    »Ich bin Dr. Delaware, Melissas Arzt.«
    »Oh…!« Die Sorgenfalten vertieften sich. »Warten Sie einen Augenblick, warten Sie bitte hier!« Die Tür wurde geschlossen und zugesperrt. Ein paar Minuten später öffnete sie sie. »Tut mir leid, es ist nur - Es könnte ja auch sein, daß Sie - Ich bin Bethel.« Ihre Hand schoß

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