Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
vorwärts. Bevor ich sie nehmen konnte, fügte sie hinzu. »Noels Mom.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Drucker.«
    Ihr Gesichtsausdruck besagte, daß sie es nicht gewöhnt war, so förmlich begrüßt zu werden. Sie ließ meine Hand fallen und sah den Boulevard hinauf und hinunter. »Kommen Sie rein!« Sie schloß die Tür hinter mir und verriegelte sie mit einem harten Drehen des Knaufs.
    Die Beleuchtung des Restaurants war ausgeschaltet. Ich konnte einen einzigen langen Raum, der durch dickgepolsterte rote Ledernischen unterteilt war, ausmachen. Auf den Tischen lagen weiße Leinendecken, darauf standen zinnerne Trinkpokale und dicke grüne Glaskelche zu rustikalem Eßgeschirr und derben Bestecken. Auf winkelgestützten Borden gleich unter der Decke reihte sich eine Sammlung von Humpen und Krügen aneinander - es waren sicher an die hundert Stück, an markanten Stellen im Restaurant standen Ritterrüstungen wie Studiorequisiten herum, an den Wänden Streitkolben und Breitschwerter, nebst Stilleben.
    Links von der Tür befand sich die Bar, in Hufeisenform mit einer Lederauflage und einem Spiegel dahinter. Ramp saß an der Bar, mit dem Gesicht zum Spiegel, den Kopf auf die eine Hand gestützt, der andere Arm hing herab. Nahe seinem Ellbogen standen ein Glas und eine Flasche Wild Turkey.
    Geklapper erscholl aus der Küche, dann Stille. Wie die meisten zur Unterhaltung bestimmten Orte war das Restaurant ohne sie tot.
    Ich näherte mich der Bar. Bethel Drucker begleitete mich, sie fragte: »Kann ich Ihnen irgend etwas bringen, Sir?« Als ob der Brunen wieder angesagt war.
    »Nein, danke.«
    Sie ging zu Ramp und beugte sich zu ihm herab in der Hoffnung, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er rührte sich nicht. Das Eis in seinem Glas schwamm in einem Zoll Bourbon. Die Oberfläche der Bar roch nach Seife und Schnaps.
    Bethel fragte: »Noch ein bißchen Wasser?«
    Er sagte: »Okay.«
    Sie nahm das Glas, ging hinter die Bar, füllte es aus einer Evians-Plastikflasche und stellte es vor ihn hin.
    Er bedankte sich, rührte es aber nicht an.
    Sie betrachtete ihn einen Augenblick lang und verschwand dann in der Küche.
    Als wir allein waren, murmelte er: »War nicht schwer, mich zu finden, hm?« Er sprach so leise, daß ich näher an ihn herantreten mußte. Ich setzte mich auf den Hocker neben ihm. Er rührte sich nicht.
    Ich sagte: »Als Sie nicht nach Hause kamen, habe ich überlegt, es war naheliegend.«
    »Ich habe kein Zuhause, jetzt nicht mehr!«
    Ich sagte nichts.
    »Ich bin jetzt nur noch Gast, ein unerwünschter Gast. Höllisch überflüssig - Wie geht’s Melissa?«
    »Sie schläft.«
    »Ja, das tut sie ausgiebig, wenn sie unglücklich ist. Jedesmal, wenn ich mit ihr zu reden versucht habe, ist sie eingenickt.« Es war kein Vorwurf in seiner Stimme, nur Resignation. »Sie hat viel durchgemacht. Ich würde nicht für zwanzig Milliarden mit ihr tauschen. Verdammte Pechsträhne! Wenn sie mich gelassen hätte -« Er hielt ein, berührte sein Wasserglas, unternahm keinen Versuch, es hochzuheben. »Na ja, einen Störenfried kann sie abhaken«, schloß er.
    »Wieso? Wen denn?«
    »Ihren bösen Stiefvater, habe die Ehre, das ist vorbei! Sie hat sich den Film mal im Videoshop angesehen, The Stepfather, hat ihn sich immer wieder angeguckt, unten im Arbeitszimmer. Hat sich nie irgendwas anderes angesehen, Filme mag sie nicht. Ich hab’ mich schließlich hingesetzt, um ihn mir mit ihr zusammen anzusehen, wollte eine Beziehung herstellen, hab’ Popcorn für zwei gemacht. Sie ist eingeschlafen.« Er zog die Schultern hoch. »Ich bin ja schon weg, wieder unterwegs im Staub der Landstraße.«
    »Weg von San Labrador oder nur vom Sussex Knoll Nr. 10?«
    Achselzucken.
    »Wann haben Sie beschlossen wegzugehen?«
    »Vor zehn Minuten ungefähr. Oder vielleicht von Anfang an, ich weiß es nicht. Was zum Teufel macht das schon aus?«
    Keiner von uns sagte etwas für eine Weile. Der Spiegel reflektierte uns, ich konnte gerade soviel sehen, daß ich merkte, wie furchtbar er aussah. Ich sah allerdings nicht viel besser aus.
    Er sagte: »Ich kann zum Teufel nicht begreifen, warum sie das getan hat.«
    »Was getan hat?«
    »Da raufgefahren ist, die Verabredung in der Klinik nicht eingehalten hat. Sie hat sich immer an ihre Verabredungen gehalten.«
    »Immer?«
    Er drehte sich um und sah mich an. Unrasiert, Tränensäcke unter den Augen, war er schlagartig ein alter Mann geworden; der Spiegel hatte ihn sogar besser aussehen lassen. »Sie

Weitere Kostenlose Bücher