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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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wechselweise, mal ist sie müde, verkriecht sich und dann platzt sie wieder vor Energie. Sie ist noch nicht stabilisiert. Ich würde sie eine Weile beobachten und nicht gleich mit ihr vor Gericht gehen, ohne sicher zu sein, daß sie sich wieder zurechtgefunden hat.«
    »Immerzu rauf und runter«, sagte sie, »so eine Art manisch-depressive Geschichte?«
    »Nein, es ist nichts Psychotisches. Es ist eigentlich ganz logisch, wenn man die emotionalen Tiefschläge bedenkt, die sie verarbeiten muß.«
    »Wie lange, meinen Sie, wird sie brauchen, um sich zurechtzufinden?«
    »Das ist schwer zu sagen. Sie können mit ihr zusammen die Strategie ausarbeiten, was die intellektuelle Seite angeht, aber vermeiden Sie vorläufig jede Art von Konfrontation.«
    »Konfrontation ist das, was ich bei ihr hauptsächlich gesehen habe, das hat mich überrascht. Ihre Mutter ist doch erst seit wenigen Tagen tot, da hätte ich mehr Trauer erwartet.«
    »Das könnte die Folge eines Lernprozesses aus ihrer damaligen Therapie bei mir sein: die Umsetzung von Angst in Zorn, als Mittel, emotionale Stabilität zu erlangen.«
    »Ich verstehe«, sagte sie, »Sie sagen also, sie ist gesund.«
    »Wie gesagt, würde ich sie jetzt im Augenblick nicht größeren Strapazen aussetzen, aber auf längere Zeit erwarte ich, daß sie klarkommt. Und sie ist mit Sicherheit nicht psychotisch.«
    »Okay, gut. Wären Sie bereit, das vor Gericht auszusagen? Der springende Punkt des ganzen Falles könnte nämlich die Frage sein, ob sie mental kompetent ist.«
    »Selbst wenn die andere Seite sich illegal betätigt hat?«
    »Wenn sich das herausstellen sollte, sind wir gerettet. Deshalb hat dieser Aspekt meine besondere Aufmerksamkeit, Milo hat es Ihnen sicher schon gesagt. Jim Douse hat gerade eine sehr kostspielige Scheidung hinter sich, und ich weiß zufällig definitiv, daß er sich zu viele Schrottpapiere gekauft hat, die ins Bodenlose gefallen sind. In der Anwaltskammer wird von irgendwelchen obskuren Geschäften gemunkelt, aber es kann sein, daß es sich dabei nur um Verleumdungen der Anwälte seiner Frau handelt. Also muß ich mit allem rechnen und gehe erstmal davon aus, daß Douse und der Banker wie Heilige gehandelt haben, selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, - wenn man bedenkt, wie Bücher sich frisieren lassen, sind raffinierte Unterschlagungen oft sehr schwer aufzudecken. Ich habe andauernd mit Filmstudios zu tun, deren Buchhalter darauf spezialisiert sind. Dieser Fall wird bestimmt ziemlich häßlich, weil es sich um ein beträchtliches Vermögen handelt. Er könnte sich jahrelang hinziehen. Ich muß unbedingt wissen, ob meine Mandantin zuverlässig ist.«
    »Zuverlässig genug«, versicherte ich, »für jemanden in ihrem Alter, aber das heißt nicht unverletzlich.«
    »Zuverlässigkeit genügt, Doktor, ah, jetzt kommt sie zurück. Wollen Sie mit ihr sprechen?«
    »Klar.«
    Ein Augenblick, dann: »Hallo, Dr. Delaware.«
    »Hallo, wie geht’s?«
    »Gut - Eigentlich würde ich gerne mal wieder mit Ihnen reden.«
    »Natürlich, wann denn?«
    »Hm, im Moment arbeite ich mit Suzan, aber ich werde langsam ziemlich müde. Wie wäre es mit morgen?«
    »Also morgen. Ist zehn Uhr früh okay?«
    »Ja, danke, Dr. Delaware. Und es tut mir leid, daß ich so - schwierig gewesen bin.«
    »Das waren Sie gar nicht, Melissa.«
    »Ich bin nur - Ich habe nicht an Mutter gedacht. Ich schätze, ich habe es abgewehrt. Ich weiß nicht, ich habe ja andauernd geschlafen. Jetzt muß ich immerzu an sie denken. Das hört gar nicht mehr auf. Daß ich sie niemals wiedersehe - ihr Gesicht - und weiß, daß sie nie wieder…«, Tränen, langes Schweigen.
    »Ich bin hier, Melissa.«
    »Es wird nie wieder, wie es war«, sagte sie. Dann legte sie auf.
    Zwanzig nach sechs, immer noch nichts von Bethel oder Noel zu sehen. Ich rief meinen Auftragsdienst an und erfuhr, daß ein Professor ›Sam Ficker‹ angerufen und eine Bostoner Nummer hinterlassen hatte. Ich wählte sie und hatte ein kleines Kind am Apparat. »Hallo?«
    »Professor Fiacre bitte.«
    »Mein Daddy ist nicht zu Hause.«
    »Weißt du, wo er ist?«
    Eine Frauenstimme unterbrach ihn: »Hier ist die Wohnung von Professor Fiacre, wer spricht?«
    »Hier ist Dr. Alex Delaware, Professor Fiacre hatte mich angerufen.«
    »Ich bin die Babysitterin, Doktor. Seth sagte schon, Sie würden anrufen. Hier ist die Nummer, unter der Sie ihn erreichen können.« Sie las die Nummer vor, und ich schrieb sie auf. Ich dankte ihr, gab ihr die

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