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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Eingriffe, einer so qualvoll wie der andere, Monate der Genesung - verstehen Sie nun, weshalb sie das Alleinsein sucht?«
    Ich nickte und fragte: »Waren die Operationen erfolgreich?«
    »Professor Montecino war begeistert, er nannte sie einen seiner größten Erfolge.«
    »Ist sie seiner Meinung?«
    Mißbilligender Blick. »Ich kann nicht ihre Gedanken lesen, Doktor.«
    »Über welchen Zeitraum zogen sich die Operationen hin?«
    »Fünf Jahre.«
    Ich rechnete. »Also war sie während dieser Zeit auch schwanger.«
    »Ja, nun, die Schwangerschaft unterbrach den chirurgischen Eingriff, da Hormone Gewebeveränderung hervorriefen und körperliche Risiken bestanden. Professor Montecino sagte, sie müsse warten und bedürfe genauester Überwachung. Er schlug sogar einen Abbruch vor, aber sie weigerte sich.«
    »War die Schwangerschaft geplant?«
    Dutchy kniff angestrengt die Augen zusammen und zog wieder wie eine Schildkröte den Kopf zurück, als könne er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. »Guter Gott, Sir, ich stecke meine Nase doch nicht in die Intimitäten meiner Arbeitgeber.«
    Ich sagte: »Entschuldigen Sie, wenn ich mich von Zeit zu Zeit in unerforschtes Gebiet begebe, Mr. Dutchy. Ich versuche mir nur, so gut es irgendwie geht, ein Bild zu machen, Melissas wegen.«
    Er räusperte sich. »Wollen wir dann über Melissa reden?«
    »Ja, gut. Sie hat mir einiges über ihre Ängste erzählt. Teilen Sie mir doch bitte Ihre Eindrücke mit.«
    »Meine Eindrücke?«
    »Ihre Beobachtungen.«
    »Meine Beobachtungen sagen mir, daß sie ein schrecklich verängstigtes kleines Mädchen ist. Alles macht ihr Angst.«
    »Zum Beispiel?«
    Er sann einen Augenblick nach. »Laute Geräusche etwa, die können sie buchstäblich dazu bringen, daß sie vor Entsetzen aufspringt. Sogar solche, die gar nicht sehr laut sind, das Rauschen eines Baumes, Schritte oder sogar Musik - das alles kann bei ihr einen Schreikrampf bewirken. Auch die Türglocke - es scheint immer dann zu geschehen, wenn sie sich in einer Periode ungewöhnlicher Ruhe befindet.«
    »Wenn sie alleine dasitzt und träumt?«
    »Ja, sie träumt eine Menge solcher Tagträume, redet mit sich selbst.« Er schloß den Mund, als wollte er einen Kommentar von mir hören.
    Ich fragte: »Wie ist es mit hellem Licht? Hat sie das schon einmal erschreckt?«
    »Ja«, sagte er überrascht, »ja, das hat es. Ich kann mich an ein solches Vorkommnis vor mehreren Monaten erinnern. Eines der Dienstmädchen hatte eine Kamera mit Blitzlicht gekauft. Sie schlenderte im Haus umher und probierte sie aus.« Ein weiterer mißbilligender Blick. »Sie überraschte Melissa beim Frühstück und machte einen Schnappschuß von ihr. Das Geräusch und das Blitzlicht waren für Melissa ein sehr schmerzhaftes Erlebnis.«
    »Ein schmerzhaftes Erlebnis inwiefern?«
    »Sie brach in Tränen aus, schrie und wies das Frühstück zurück. Sie fing sogar an zu hyperventilieren. Ich ließ sie in eine Papiertüte atmen, bis sich ihr Atem wieder normalisierte.«
    »Eine Veränderung der Wahrnehmung…«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.
    »Wie bitte?«
    »Plötzliche Veränderungen der Wahrnehmung auf ihrer psychophysiologischen Bewußtseinsebene scheinen ihr Schwierigkeiten zu machen.«
    »Ja, ich nehme es an. Was kann man dagegen tun?«
    Ich unterbrach ihn mit einer abwehrenden Geste. »Sie hat mir gesagt, sie hätte jede Nacht böse Träume.«
    »Das stimmt«, sagte er, »oft mehr als einen pro Nacht.«
    »Beschreiben Sie, was sie macht, wenn sie so einen Traum hat.«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn es geschieht, ist sie bei ihrer Mutter.«
    Ich runzelte verdrossen die Stirn. Er war in die Falle getappt.
    »Allerdings erinnere ich mich sehr wohl einiger Vorkommnisse. Sie weint viel, schreit, strampelt herum, wehrt sich dagegen, daß man sie zu beruhigen versucht, und weigert sich dann, wieder einzuschlafen.«
    »Strampelt herum«, sagte ich, »erzählt sie von ihren Träumen?«
    »Manchmal.«
    »Aber nicht immer?«
    »Nein.«
    »Wenn sie es tut, gibt es da irgendwelche wiederkehrenden Motive?«
    »Monster, Gespenster, diese Art von Dingen. Ich achte nicht so sehr darauf. Meine Anstrengungen richten sich darauf, sie zu beruhigen.«
    »Was Sie in Zukunft tun können«, sagte ich, »das ist, genau darauf zu achten. Schreiben Sie auf, was sie in diesen Augenblicken sagt, und bringen Sie es mir mit.« Ich merkte, daß ich sehr herablassend klang, jetzt wollte ich, daß er sich wie ein Banause vorkam.

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