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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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War es ein Machtkampf mit einem Butler?
    Aber die Untergebenenrolle war ihm angenehm, er sagte: »Sehr wohl, Sir« und hob die Teetasse an die Lippen.
    Ich fragte: »Wirkt sie nach einem Alptraum völlig wach?«
    »Nein«, sagte er, »nicht immer, manchmal setzt sie sich mit einem erschrockenen, erstarrten Gesichtsausdruck auf, schreit und fuchtelt mit den Händen und will sich nicht trösten lassen. Wir - ich versuche sie aufzuwecken, aber es ist unmöglich. Sie ist sogar schon aus dem Bett aufgestanden und immer noch schreiend herumgelaufen, und es war nicht möglich, sie zu wecken. Wir warten einfach, bis es nachläßt, dann bringen wir sie zurück ins Bett.«
    »In ihr eigenes Bett?«
    »Nein. In das ihrer Mutter.«
    »Sie schläft nie in ihrem eigenen Bett?«
    Kopfschütteln. »Nein, sie schläft mit ihrer Mutter zusammen.«
    »Okay«, sagte ich, »lassen Sie uns auf die Situationen zurückkommen, in denen sie sich nicht aufwecken läßt. Schreit sie wegen etwas Bestimmtem?«
    »Nein, es sind keine Worte, es ist nur ein schreckliches Geheul.« Er zuckte zusammen, »es ist wirklich ziemlich beunruhigend.«
    »Sie beschreiben etwas, das man nächtliche Angstzustände nennt«, erklärte ich. »Es sind keine Alpträume, die finden wie alle Träume in den Phasen des leichten Schlafes statt. Zu Angstzuständen kommt es, wenn der Schläfer zu rasch und zu abrupt aus tiefem Schlaf gerissen wird. Es ist eine Störung des Aufwachens, die mit dem Schlafwandeln und Bettnässen verwandt ist. Macht sie das Bett naß?«
    »Gelegentlich.«
    »Wie oft?«
    »Vier oder fünfmal in der Woche, manchmal weniger, manchmal mehr.«
    »Haben Sie irgend etwas dagegen unternommen?« Kopfschütteln.
    »Macht es ihr etwas aus, daß sie das Bett näßt?«
    »Überhaupt nicht«, sagte er, »es scheint sie nicht zu stören.«
    »Haben Sie mit ihr darüber geredet?«
    »Nur um ihr ein oder zweimal zu sagen, daß junge Damen sorgfältig auf ihre Hygiene achten müssen. Da sie jedoch nicht zugehört hat, habe ich es dabei bewenden lassen.«
    »Wie ist es mit ihrer Mutter? Wie reagiert ihre Mutter darauf?«
    »Sie läßt die Bettwäsche wechseln.«
    »Es ist ihr Bett, das naß wird. Macht ihr das nichts aus?«
    »Offenbar nicht; Doktor, was bedeuten diese Anfälle, diese Angstzustände, medizinisch gesprochen?«
    »Wahrscheinlich spielt eine genetische Komponente eine Rolle«, sagte ich. »Nächtliche Angstzustände kommen in bestimmten Familien immer wieder vor, ebenfalls Bettnässen und Schlafwandeln.«
    Er machte ein besorgtes Gesicht.
    Ich sagte: »Aber sie sind nicht gefährlich, nur störend. Und sie verschwinden gewöhnlich ohne Behandlung von selbst, wenn das Kind älter wird.«
    »Ah«, sagte er, »also arbeitet die Zeit für uns.«
    »Ja, aber das heißt nicht, daß wir sie ignorieren sollten. Angstzustände lassen sich behandeln, und sie sind auch Warnsignale - es steckt mehr als nur die reine Biologie dahinter. Infolge von Streß treten diese Zustände oft vermehrt und länger auf. Sie sagt uns, daß sie Kummer hat, Mr. Dutchy. Das drückt sie auch durch ihre anderen Symptome aus.«
    »Ja, natürlich.«
    Der Kellner kam mit dem Essen. Wir aßen schweigend, und obwohl Dutchy erklärt hatte, daß er keinen Lunch zu sich nähme, verzehrte er seine Garnelen mit vornehmem Eifer.
    Als wir fertig waren, bestellte ich einen doppelten Espresso, während er sich seine Teekanne nachfüllen ließ. Nachdem ich meinen Kaffee getrunken hatte, sagte ich: »Kehren wir zur Vererbung zurück, sind noch andere Kinder aus einer früheren Ehe da?«
    »Nein, obwohl es für Mr. Dickinson eine frühere Ehe gegeben hat, aber ohne Kinder.«
    »Was ist mit der ersten Mrs. Dickinson geschehen?«
    Betreten antwortete er, »sie starb an Leukämie - eine feine junge Frau. Die Ehe hatte nur zwei Jahre gedauert. Ihr Tod war sehr schwer für Mr. Dickinson. Damals hat er sich um so mehr in seine Kunstsammlung vertieft.«
    »Was hat er gesammelt?«
    »Gemälde, Zeichnungen und Radierungen, Antiquitäten, Wandteppiche. Er hatte einen außerordentlichen Blick für Komposition und Farbe, suchte beschädigte Meisterwerke aus und veranlaßte ihre Restauration. Einige restaurierte er sogar selbst, da er dieses Handwerk als Student erlernt hatte. Das war seine eigentliche Leidenschaft - das Restaurieren.«
    Ich dachte daran, wie er seine zweite Frau restauriert hatte. Als könnte er meine Gedanken lesen, warf mir Dutchy einen scharfen Blick zu.
    »Wovor hat Melissa noch Angst,

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