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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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rutschte auf die Kante ihres Sessels vor und streckte die Hände mit den Handflächen nach oben aus. »Ich bin nicht sicher, ob sie damit fertig wird, Dr. Delaware.«
    »Daß sie allein sein wird, ohne Sie?«
    »Ja, sie ist -, es ist -«, sie zuckte mit den Achseln und fing an, mit den Händen zu ringen, was mich trauriger machte, als es das hätte tun sollen.
    Ich fragte: »Ist sie noch immer in derselben Situation, was ihre Ängste angeht?«
    »Nein, das heißt, sie hat immer noch… diese Agoraphobie. Aber es geht ihr besser, auf Grund ihrer Behandlung. Ich habe sie schließlich soweit gebracht, daß sie sich hat behandeln lassen, und es hat geholfen.«
    »Gut.«
    »Ja, das ist gut.«
    »Aber Sie sind nicht sicher, ob ihr die Behandlung genügend geholfen hat, um auch die Trennung von Ihnen zu ertragen?«
    »Ich weiß es nicht, ich bin mir nicht sicher.« Sie schüttelte so müde und traurig den Kopf, daß sie auf einmal sehr alt wirkte. Aus ihrer Handtasche zog sie einen Zeitungsausschnitt heraus und reichte ihn mir.
    Er war vom Februar letzten Jahres. Ein Artikel aus der Klatschspalte mit dem Titel: Neue Hoffnung für Opfer von Angstzuständen / Ehepaar-Team kämpft gegen Phobien.
    Sie hob den Briefbeschwerer auf und fing wieder an, damit herumzuspielen. Ich las weiter. Der Artikel handelte von Leo Gabney, einem klinischen Psychologen in Pasadena, der von der Harvard University nach Kalifornien gewechselt hatte, zusammen mit seiner Ehefrau Ursula Cunningham-Gabney, einer Absolventin und ehemaligen Lehrkraft derselben renommierten Institution. Auf einem Photo sah man die beiden Therapeuten nebeneinander an einem Tisch sitzen. Ihnen gegenüber, mit dem Rücken zum Betrachter, saß eine Patientin. Gabney sprach - sein Mund war geöffnet - während seine Ehefrau ihm aus dem Augenwinkel zuzusehen schien. Darunter stand: Dr. Gabney und Dr. Ursula Cunningham-Gabney vereinen ihr Können, um intensiv mit »Mary«, einer unter schwerer Agoraphobie leidenden Patientin, zu arbeiten. Das Wort ›Agoraphobie‹ hatte jemand rot umrandet.
    Ich betrachtete das Photo. Ich kannte den guten Ruf von Leo Gabney, hatte alles von ihm gelesen, ihn selbst aber noch nie getroffen. Er mußte so um die Sechzig sein, mit buschigem weißem Haar, dicke Brillengläser in einem runden, ziemlich kleinen Gesicht. Seine Frau war gutaussehend, wirkte aber sehr streng; in Hollywood hätte man ihr die Rolle einer Lehrerin vom Typ ›alte Jungfer‹ gegeben, die reif dafür war, wachgeküßt zu werden. Sie war recht jung, so daß sie Gabneys Tochter hätte sein können.
    Ich schaute auf. Melissa betrachtete immer noch den Kristall, sie tat so, als sei sie von den Facetten fasziniert. Ich fing wieder an zu lesen. Der Artikel war ein Loblied im Pressestil eines Journalisten. Leo Gabneys Pionierarbeit bei der Erforschung und Behandlung von Angstzuständen wurde umfassend gewürdigt. So wurde auch sein »Erfolg bei der Behandlung der Kriegstraumata von Koreakämpfern« erwähnt, als ein »Meilenstein, zu der Zeit, als die klinische Psychologie noch in den Kinderschuhen steckte, die wegweisende Erforschung der Frustration und des menschlichen Lernens«. Seine Laufbahn während der letzten drei Jahrzehnte wurde aufgezeigt, als er sich in Harvard der Erforschung der Psyche von Mensch und Tier gewidmet hatte. Er sah auf dreißig Jahre produktiver Tätigkeit als wissenschaftlicher Autor zurück.
    Ursula Cunningham-Gabney wurde als eine frühere Studentin ihres Mannes und Inhaberin zweier Doktortitel, in Psychologie und Medizin, beschrieben.
    Vor zwei Jahren eröffneten beide in Südkalifornien ihre Gabney-Klinik. Leo Gabney erklärte den Umzug als »Suche nach einem entspannteren Lebensstil wie auch die Chance, unser beider Wissen und Können in den privaten Sektor einzubringen.« Im folgenden wurde die enge Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau beschrieben. Der Rest bestand aus Pseudonymen Fallgeschichten, die ich überflog. »Fertig!«
    Melissa legte den Briefbeschwerer hin. »Haben Sie von ihnen gehört?«
    »Ich habe von Leo Gabney gehört. Er ist sehr bekannt, da er sehr viele wichtige Forschungsarbeiten durchgeführt hat.« Ich hielt den Zeitungsbericht hoch. Sie nahm ihn wieder an sich und steckte ihn zurück in die Handtasche.
    »Als ich das sah«, sagte sie, »dachte ich sofort, das ist das Richtige für Mutter. Wir hatten uns darüber unterhalten, Mutter und ich, daß sie etwas wegen… ihres Problems… tun sollte. Eigentlich haben wir all die Jahre

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