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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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nicht zu mögen. Wenn ich ihr zu erklären versuche, wie gut ich mich entwickle, lächelt sie, tätschelt meine Schulter und sagt: ›Großartig, Mom‹ und geht weg. Nicht, daß ich es ihr übelnehme, aber ich habe es zu lange hingenommen, daß sie über mich wacht. Jetzt muß ich dafür bezahlen.« Sie neigte wieder den Kopf, legte den Zeigefinger über die Braue und saß so ruhig und nachdenklich eine Weile lang da.
    Dann hob sie von neuem an: »Ich habe seit über vier Wochen keinen einzigen Anfall mehr gehabt, Dr. Delaware. Ich sehe die Welt zum erstenmal nach sehr langer Zeit wieder, und ich habe das Gefühl, daß ich damit fertig werden kann. Was kann ich nur sagen, um Melissa zu überzeugen?«
    »Klingt, als ob Sie das Richtige sagen. Sie ist vielleicht nicht bereit, es sich anzuhören.«
    »Ich will nicht anfangen, ihr zu erzählen, daß ich sie nicht brauche - ich will ihr doch nicht weh tun. Ich brauche sie, so wie jede Mutter ihre Tochter braucht. Ich möchte, daß wir einander immer nahe sind, und ich gebe ihr auch keine widersprüchlichen Signale, Doktor - glauben Sie mir. Dr. Cunningham-Gabney und ich haben daran gearbeitet - an klaren Aussagen. Meine Kleine weigert sich einfach zuzuhören.«
    Ich sagte: »Ein Teil des Problems ist, daß ihr Konflikt nicht allein mit Ihnen und Ihrem Fortschritt zu tun hat. Jede Achtzehnjährige würde sich danach sehnen, ihr Zuhause zum erstenmal zu verlassen. Das Leben, das Melissa bis jetzt geführt hat, die Beziehung zwischen Ihnen beiden, die Größe dieses Hauses, die Isolation, macht das Ausziehen zu einem größeren Problem, als es bei einem durchschnittlichen Hochschulabsolventen der Fall ist. Ihre Angst ist größer. Indem sie sich ganz auf Sie konzentriert, braucht sie sich nicht mit ihren eigenen Ängsten auseinanderzusetzen.«
    »Dieses Haus«, sagte sie und streckte die Hände aus, »es ist eine Monstrosität, nicht wahr? Arthur hat Sachen gesammelt, sich selbst ein Museum gebaut.« Eine Spur von Bitterkeit, doch dann folgte sofort die Verteidigung: »Nicht, daß er es aus egoistischen Gründen getan hat - so war Arthur nicht. Er hat die Schönheit geliebt. Er hat daran geglaubt, seine Welt schöner zu machen. Und er hatte einen ausgezeichneten Geschmack. Ich habe kein Gefühl für Dinge. Ich kann ein gutes Gemälde zwar erkennen, wenn man es vor mich hinstellt, aber ich würde es niemals sammeln - das ist einfach nicht meine Art.«
    »Haben Sie jemals daran gedacht umzuziehen?«
    Ein mattes Lächeln. »Mir gehen viele Gedanken durch den Kopf, Dr. Delaware. Wenn die Tür erstmal geöffnet ist, fällt es schwer, sich zurückzuhalten. Aber wir - Dr. Cunningham-Gabney und ich - arbeiten zusammen, daß ich nicht die Selbstbeherrschung verliere, daß ich keine Dummheiten mache. Ich habe immer noch einen langen Weg vor mir. Und selbst wenn ich bereit wäre, alles hinzuwerfen und in die Welt hinauszurennen, würde ich das Melissa nicht antun - würde ihr nicht den Teppich unter den Füßen wegziehen.« Sie berührte die Kaffeekanne, lächelte und stellte fest: »Kalt. Sind Sie sicher, daß Sie nicht doch frischen Kaffee haben möchten? Oder etwas zu essen, haben Sie schon etwas zu sich genommen?«
    Ich sagte: »Ich bin ganz sicher, aber trotzdem vielen Dank.«
    »Sie haben vorhin erwähnt«, sagte sie, »daß sie ihren eigenen Konflikten ausweicht, indem sie mich bemuttert. Wenn das der Fall ist, wie kann ich ihr helfen, damit klarzukommen?«
    »Sie wird sich auf ganz natürliche Art und Weise allmählich an Ihre Entwicklung gewöhnen, während Sie Fortschritte machen. Und um ehrlich zu sein, Sie werden sie vielleicht nicht überzeugen können, nach Harvard zu gehen, bevor der Bewerbungstermin nicht unmittelbar vor der Tür steht.«
    Sie runzelte die Stirn.
    Ich sagte: »Es scheint mir, daß noch etwas anderes ihre Situation kompliziert - Eifersucht.«
    »Ja, ich weiß«, sagte sie. »Ursula hat mir erklärt, wie eifersüchtig sie ist.«
    »Melissa hat eine Menge Gründe, eifersüchtig zu sein, Mrs. Ramp. In kurzer Zeit hat sich für sie sehr viel verändert, ganz abgesehen von Ihrem Fortschritt: Jacob Dutchys Tod, Ihre Wiederverheiratung«, ›die Rückkehr des Wahnsinnigem - ergänzte ich in Gedanken. »Noch schwerer wird es für sie dadurch, daß sie es sich - positiv oder negativ - selbst zuzurechnen hat, einen großen Teil der Veränderungen bewirkt zu haben. So war sie es, die Sie einer Behandlung zugeführt und Sie mit Ihrem jetzigen Ehegatten

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