SÄURE
drehte sich um, sah mich an und blinzelte wieder angestrengt. »Alex«, sagte sie, »ich weiß, ich habe kein Recht, dich das zu fragen, aber, wie stehst du zu ihr?«
Ich bewegte mich zur Werkbank hin, stützte mich mit beiden Händen darauf und sah zur Decke.
»Wir sind nicht miteinander verlobt«, sagte ich, »wir sind Freunde.«
»Würde ihr das hier weh tun?«
»Ich nehme nicht an, daß sie deshalb vor Freude an die Decke springen würde, aber ich habe nicht vor, ihr einen schriftlichen Bericht vorzulegen.« Der Zorn in meiner Stimme war stark genug, daß sie die Werkbankplatte umklammerte. Ich fuhr fort: »Hör zu, es tut mir leid. Es ist einfach ganz schön hart, und der Gedanke macht mich närrisch. Nicht der Gedanke an sie, sondern vor allem der an uns, daß wir ganz plötzlich zusammen sind, so wie heute nacht… Mist, wie lange ist es her? Zwei Jahre?«
»Fünfundzwanzig Monate«, sagte sie, »aber wer zählt so etwas.« Sie legte ihren Kopf auf meine Brust, strich über mein Ohr, meinen Hals.
»Es hätten auch fünfundzwanzig Stunden sein können«, sagte ich, »oder fünfundzwanzig Jahre.«
Sie holte tief Luft. »Wir passen zusammen, ich hatte vergessen, wie gut.« Sie kam noch näher, streckte die Arme aus und legte sie mir auf die Schultern. »Alex, du und ich, das ist wie eine Tätowierung. Du mußt tief hineinschneiden, um sie zu entfernen.«
»Ich stell’s mir eher wie Angelhaken vor, die man herausreißt.«
Sie zuckte zusammen und berührte ihren Arm.
Ich sagte: »Such dir deine passende Analogie aus, auf jeden Fall tut es weh.«
Wir starrten einander an, versuchten das Schweigen durch Lächeln abzumildern, aber es gelang uns nicht.
Sie sagte: »Es könnte ja wieder etwas werden, Alex, wieso denn nicht?«
Antworten gingen mir durch den Kopf, ein Gewirr von Erwiderungen, widersprüchliches Gefasel. Bevor ich mich rechtfertigen konnte, sagte sie: »Laß’ uns wenigstens darüber nachdenken. Was können wir schon dabei verlieren?«
Ich sagte: »Selbst wenn ich es wollte, ich könnte gar nicht anders. Dir gehört zuviel von mir.«
Ihre Augen wurden feucht: »Ich nehme, was ich kriege.«
Ich sagte: »Fröhliches Schnitzen«, wandte mich um und wollte gehen.
Sie rief meinen Namen.
Ich blieb stehen und sah zurück. Sie hatte die Hände auf den Hüften, und ihr Gesicht war zu dem Klein-Mädchen-Flunsch verzogen, aus dem die Frauen nie herauszuwachsen scheinen - das Vorspiel zum Weinen. Bevor die Schleusen sich ganz auftaten, riß sie sich die Schutzbrille wieder über die Augen, hob ihre Feile auf, wandte mir den Rücken zu und fing wieder an zu arbeiten.
Ich verließ sie und hörte dasselbe Samba-Geraspel, das mich beim Erwachen begrüßt hatte - ich fühlte mich alles andere als zum Tanzen aufgelegt.
Da ich wußte, daß ich den Tag mit förmlichen Dingen ausfüllen mußte, um nicht durchzudrehen, fuhr ich in die Biomedizinische Universitätsbibliothek, um die Querverweise für meine Monographie herauszusuchen. Ich fand allerhand Vielversprechendes, aber wenig Relevantes. Als es Mittag wurde, hatte ich eine Menge Hitze erzeugt, aber kaum Licht. Daher rief ich von einer Zelle außerhalb der Bibliothek meinen Auftragsdienst an und fragte, ob Anrufe gekommen wären. Aus San Labrador nichts, ansonsten sechs andere, aber keine Notfälle. Ich erwiderte sie alle. Dann fuhr ich ins Westwood Village, bezahlte zuviel für einen Parkplatz, fand einen Coffee Shop, der sich als Restaurant ausgab, und las die Zeitung, während ich mich durch einen gummiartigen Hamburger nagte.
Als ich zu Hause ankam, war es schon drei Uhr nachmittags. Ich sah nach, was bei meinen Fischen im Teich los war. Sie hatten noch mehr gelaicht und wirkten immer noch wie betäubt. Ich fütterte sie, las tote Blätter im Garten auf.
Da ich nun keine Ausreden mehr hatte, ging ich in meine Bibliothek, holte mein Manuskript hervor und fing an zu arbeiten. Es ging ganz gut. Als ich schließlich aufblickte, hatte ich fast zwei Stunden lang gearbeitet.
Ich dachte an Robin: ›Du weißt, wie das mit der Eigendynamik ist. Wir passen zusammen… - der Druck der Einsamkeit, der uns zusammentreibt, - Angelhaken!‹
Zurück an die Arbeit - der typische Plackerei-Abwehrmechanismus.
Ich nahm den Stift auf und versuchte es von neuem. Ich schrieb, bis mir die Wörter ausgingen und die Brust mir eng wurde. Als ich vom Schreibtisch aufstand, war es sieben, und als das Telefon läutete, war ich dankbar.
»Dr. Delaware, hier ist Joan vom
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