Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Kreis. Safa begann mit einem Spiel, das man auch in Europa kennt. Auf Somali rief sie aufgeregt und deutete mit ihrem schmalen Zeigefinger auf jeden Einzelnen. »Ene, mene, muh, und raus bist du! Raus bist du noch lange nicht, sag mir erst, wie alt du bist.«
Ihr Finger zeigte auf Nour, den kleineren der beiden Brüder, der Safa nur verständnislos ansah.
»Los, Nour, du musst sagen, wie alt du bist«, lachte Safa.
Doch der putzige Junge drehte sich bloß verschämt um und begann lauthals zu heulen.
Sofort eilte Fozia herbei und nahm ihn auf den Arm. Dabei warf sie Safa einen so bösen Blick zu, dass selbst ich Angst bekam.
»Leider kann man das mit dem Kleinen nicht spielen. Der weiß noch nicht einmal, wie alt er ist«, erklärte mir Safa, ohne ihre Mutter zu beachten. »Jedes Mal erkläre ich ihm, wie alt er ist, damit er auch mitspielen kann. Aber wenn er drankommt, heult er immer nur.«
Damit war das Spiel beendet. Wir erhoben uns von dem schmutzigen Boden und gingen zusammen in Richtung Veranda, wo immer noch Safas Familie wie aufgefädelt dastand. Fardouza und Linda standen ein wenig abseits und unterhielten sich leise.
»Waris, das ist meine Maman Fozia, die kennst du ja schon. Das ist Papa, er heißt Idriss.« Wieder deutete Safa mit ihrem winzigen Zeigefinger von Person zu Person, wie sie es gerade erst bei dem missglückten Spiel getan hatte. »Fatouma ist meine Großmutter. Das da drüben sind meine beiden Onkel, meine Tanten und meine Cousins und Cousinen. Und dieses kleine Baby hier ist meine Lieblingscousine.« Selbstbewusst zog Safa den Säugling aus den Armen ihrer Tante und präsentierte ihn mir stolz.
»Darf ich?«, fragte ich die Mutter vorsichtig und betrachtete das entzückende Kind.
Mit einem dezenten Nicken signalisierte mir die Frau, dass ich ihre Tochter auf den Arm nehmen durfte.
Unter den aufmerksamen Blicken der gesamten Familie stemmte ich das Baby über meinem Kopf hoch und nieder, drückte meine Nase an die seine und knuddelte es innig. Ich liebe diese süßen, kleinen Geschöpfe, die noch nicht ahnen, was im Leben alles noch auf sie zukommen wird.
Mit Safas Cousine im Arm trat ich auf Safas Mutter zu. »Assalamu alaykum«, sagte ich betont höflich und streckte ihr abermals die rechte Hand entgegen, um sie zu begrüßen.
Sie war sehr klein, wohl nicht einmal einen Meter fünfzig groß, und ihr breites Gesicht wirkte sehr jung. Nachdem sie meine Begrüßung im zweiten Anlauf erwidert hatte, ergriff ich die Gelegenheit und verwickelte sie in ein Gespräch.
»Woher kommt ihr?«, fragte ich auf Somali.
»Idriss wurde in Dschibuti geboren, ich dagegen bin ursprünglich aus Ogaden«, antwortete Fozia.
»Ogaden, liegt das nicht in Äthiopien? Wie seid ihr nach Dschibuti gekommen?«, erkundigte ich mich weiter. Ich war froh, dass sich endlich jemand mit mir unterhielt.
»Wir sind vor der Trockenheit und der Dürre in unserem Land geflohen. Wir haben alles verloren. Unser Vieh, unser Stück Land, niemand hat uns geholfen. Die Äthiopier haben nicht einmal die internationalen Hilfsmitteltransporte zu uns durchgelassen«, begann Safas Mutter zu erzählen.
Ich wusste, dass Ogaden früher ein Teil von Somalia gewesen war, ehe es von Äthiopien eingenommen worden war.
»Viele aus meiner Familie sind gestorben, meine Eltern haben es mit uns Kindern gerade noch bis nach Dschibuti geschafft.« Sie erzählte weiter, von ihrer Mutter, von ihrem Mann Idriss, der vierzehn Jahre älter war als sie und sie als dreizehnjähriges Mädchen zur Frau genommen hatte. Dann sprach sie von Safa, die sie bald nach der Heirat als erstes von drei Kindern zur Welt gebracht hatte. »In Ogaden hatten wir viel Platz für uns und unsere Tiere«, fügte Fozia mit traurigem Unterton hinzu. »Hier dagegen leben wir mitten unter den Ärmsten der Armen. Es ist sehr schwer, für alle von uns.«
»Wenn du aus Ogaden kommst, kennst du bestimmt auch Galkayo in Somalia, oder?«, fragte ich sie.
»Natürlich, das liegt direkt an der Grenze zu Äthiopien«, wusste Fozia. »Wir haben Verwandte dort. Wir gehören nämlich zum Stamm der Darod.«
Für einen kurzen Augenblick hielt ich den Atem an. Dann ergriff ich den Arm von Safas Mutter. »Ich komme aus Galkayo und stamme ebenfalls vom Stamm der Darod ab.«
Damit war das Eis gebrochen, und Fozia konnte sich nicht mehr zurückhalten. Innig umarmte sie mich wie eine Schwester und drückte mich an sich.
»Kommt her«, sagte sie zu den anderen, die sofort neugierig
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