Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
näher rückten.
Alle Erwachsenen fingen gleichzeitig an zu reden, und ein wahrer Redeschwall prasselte auf mich ein. Jeder wollte plötzlich etwas von mir wissen oder mir etwas über sich erzählen. Safas Tante eilte ins Haus und kehrte mit einem Krug Wasser und Bechern zurück. Idriss holte ein paar Stühle, auf denen auch Joanna, Linda und Fardouza Platz nehmen konnten. Dann ergriff Safas Großmutter Fatouma das Wort und erzählte uns, welche Bedeutung der Name meines Patenkindes hatte.
»Safa Idriss Nour, so ihr voller Name, steht für Klarheit und Reinheit«, erklärte die alte Frau, deren Gesicht von tiefen Falten zerfurcht war.
Nach einiger Zeit ergriff ich die Gelegenheit und sagte: »Ihr wisst, warum ich hier bin. Unser Volk hat eine schreckliche Tradition, die weibliche Genitalverstümmelung.« Augenblicklich versteinerten die Mienen der Anwesenden. »Ich bin hier, um dagegen zu kämpfen«, fuhr ich dennoch fort. »Denn dieses grausame Ritual hat nur ein Ziel: Frauen zu unterdrücken. Ihr habt eine wunderbare Tochter, Safa.« Ich deutete auf mein Patenkind, das wieder einmal seine Ziege liebkoste. »Ich unterstütze sie und damit auch euch. Der Kleinen darf niemals etwas derart Grausames angetan werden!«
Betreten senkten die Familienmitglieder die Köpfe und blickten zu Boden, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt. Etwas, worüber man nicht spricht und auch niemals sprechen darf.
»Ich werde für ein paar Tage in Dschibuti bleiben und möchte euch alle zu einem Freundschaftsessen in mein Hotel einladen«, sagte ich, um die Situation etwas aufzulockern.
Mit Erfolg. Die Stimmung hob sich zum Glück sofort wieder, und wir plauderten munter weiter. Das Thema Genitalverstümmelung erwähnte niemand mehr. Zumindest fürs Erste.
»Wir fahren jetzt ins Hotel«, leitete ich nach gut einer Stunde unsere Verabschiedung ein.
Die Müdigkeit stand Fardouza und Linda, vor allem aber Joanna und mir nach der langen Reise bereits ins Gesicht geschrieben. Mein Kopf schmerzte, und ich war nach den vielen Aufregungen des Tages völlig erschöpft.
»Ich muss mich unbedingt ein wenig ausruhen«, erklärte ich.
Safa, die neben ihrer Mutter stand, sah mich mit großen, traurigen Augen an. Dicke Tränen liefen ihr über die zarten Wangen.
»Ach, Baby Girl, wir sehen uns doch morgen wieder«, versuchte ich sie zu trösten.
Aber anstatt sich zu beruhigen, schlug das kleine Mädchen die Hände vors Gesicht und begann laut zu schluchzen. Ich ging zu ihr und nahm sie hoch.
»Warum kannst du nicht bei uns bleiben?«, fragte Safa mit bebenden Lippen. »Wir haben doch genug Platz, du kannst hier schlafen, bei mir.«
Mit ruhiger Stimme erklärte ich ihr, dass dies nicht möglich sei und dass ich gerne in Ruhe mit meinen eigenen Kindern in Europa telefonieren wollte. »Die vermissen mich nämlich auch, weißt du?« Ich hoffte auf ihr kindliches Verständnis.
Fehlanzeige. Sie schlang mir ihre schlanken Arme um den Hals, presste ihren kleinen Mund an mein Ohr und schluchzte: »Waris, nimm mich bitte mit. Ich will bei dir bleiben.« Bevor ich noch ein Wort sagen konnte, drehte sich Safa zu ihrem Vater um. »Papa, darf ich mit Waris ins Hotel fahren und dort schlafen? Bitte!«
Idriss starrte mich überrascht an. Nach wenigen Sekunden hatte er sich jedoch wieder gefasst. »Nein, du bleibst hier. Dein Platz ist bei deiner Familie«, herrschte er seine Tochter an, die jedoch nicht kampflos aufgab.
»Aber Papa, sie ist doch nur so kurz da, und du kannst mich morgen früh abholen kommen. Oder du kommst gleich mit und nimmst mich wieder mit, wenn es dir dort nicht gefällt.«
Typisch für die kleine Kämpferin, sie lässt sich einfach nicht unterkriegen, dachte ich mit einem Anflug mütterlichen Stolzes, jedoch ohne eine Miene zu verziehen.
Wortlos ging Safas Vater hinüber zu Fatouma, die unsere Debatte von der Veranda aus beobachtet hatte. Nach einem kurzen Wortwechsel kehrte er zurück.
»Gut, Safa, du darfst ausnahmsweise eine Nacht bei Waris im Hotel verbringen. Aber morgen früh pünktlich um sieben bist du fertig für die Schule.« Drohend hob er den ausgestreckten Zeigefinger über dem Gesicht seiner Tochter. »Und du, Waris«, wandte er sich ebenso ernst an mich, »du sorgst bitte dafür, dass sie nicht zu spät kommt. Bitte vergiss auch nicht, ihr etwas zu essen mitzugeben. Und jetzt hol deine Schulbücher aus dem Haus, Safa.«
Das Mädchen zögerte keinen Augenblick, stürmte zu seinem Vater und fiel ihm
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