Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Bauch drückte. »Fahren Sie weiter«, befahl er schließlich und ließ uns passieren.
Wir überquerten die Brücke und erreichten die Armensiedlung.
Es war ein Ort, wie es sie hundertfach in Afrika gibt und von denen ich schon viele gesehen hatte. Durch meine Arbeit als Menschenrechtsaktivistin kannte ich viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Nichtregierungsorganisationen, die seit Jahren versuchten, den Menschen in Slums wie diesem konkret zu helfen. Ihr täglicher Kampf gegen die Not der dort lebenden Menschenmassen glich jedoch Don Quichottes endlosem Kampf gegen die Windmühlen.
Die Probleme in Balbala werden von Tag zu Tag größer. Täglich strömen mehr Flüchtlinge in die auf grob achtzigtausend Bewohner geschätzte Siedlung. Täglich werden die Zustände menschenunwürdiger. Aufgrund fehlender Sanitäranlagen brechen immer wieder Seuchen in den Slums aus. Viele Babys sterben noch vor ihrem ersten Geburtstag, weil die medizinische Versorgung vor Ort so gut wie nicht vorhanden ist. Hunderte Bewohner leiden an schweren Lungenkrankheiten, weil sie in ihren winzigen Hütten nur mit offenem Feuer kochen können und das ständige Einatmen des giftigen Rauches sie krank macht. Jene, die sich einen kleinen Ofen leisten können, kochen mit Kerosin, das für den Körper nicht minder giftig ist.
Man sah auf den ersten Blick, dass die Lebensumstände hier grauenvoll waren. Kaum waren wir in eine der schmutzigen Gassen zwischen den Wellblechhütten eingebogen, musste Fardouza den Wagen anhalten. Eine bettelnde Frau hatte sich mitten auf die Fahrbahn gestellt. Um ihren Körper war ein Tuch gewickelt, in dem ein Säugling, vermutlich vor Hunger und Durst, herzzerreißend schrie. Fardouza hupte und hoffte, dass die Frau zur Seite gehen würde. Tatsächlich schlenderte sie daraufhin resignierend in Richtung Straßenrand.
Ich konnte das nicht mit ansehen. Als Fardouza wieder Gas geben wollte, hielt ich sie auf. »Nein, warte!«, rief ich.
Ich kramte in meinem kleinen braunen Rucksack nach etwas Geld, stieg aus dem Wagen und steckte es der jungen Frau zu. Mit einem müden Lächeln bedankte sie sich.
Keine Ahnung, woher sie plötzlich alle gekommen waren, aber als ich mich umdrehte, war Fardouzas Peugeot von Müttern mit kleinen Babys auf dem Arm umzingelt. Auch sie brauchten dringend Geld und wimmerten um Hilfe. Ich konnte nicht anders. Eilig räumte ich meinen Rucksack leer und verteilte, was ich darin an Bargeld finden konnte, an die Frauen. Safa und die anderen im Wagen sahen mich ungläubig an.
»Waris, du hast alles verschenkt. Jetzt hast du nichts mehr«, seufzte mein Patenkind mitleidig.
Fardouza fügte lachend hinzu: »Du wirst sehen, deine Großzügigkeit wird sich hier im Nu herumsprechen. Auf der Rückfahrt wird halb Balbala die Straße blockieren.«
So grausam waren sie, die Windmühlen der Armut. Kaum hatte man eine davon besiegt, wartete bereits die nächste darauf, dass man sie bekämpfte.
Wir fuhren weiter, und es ging einen holprigen, unbefestigten Weg zwischen mehreren Müllbergen hinauf. Die Straße schien kein Ende nehmen zu wollen, als sich Safa plötzlich aufgeregt aufsetzte.
»Da, Waris!«, rief sie. »Da vorne wohne ich!«
Sie lehnte sich mit dem ganzen Oberkörper aus dem Fenster, und der Wind spielte mit ihren pechschwarzen Locken. Wieder musste ich an meinen Alptraum denken, in dem der Wind auf dem Fischerboot meinem Patenkind genauso wie jetzt durchs Haar gefahren war. Fest nahm ich mir vor, schon bald mit Safa einen schönen Ausflug zu unternehmen und sie möglichst weit weg von dem Elend zu bringen, in dem sie aufwachsen musste.
»Da vorne wartet schon meine Maman«, sagte Safa stolz und zeigte auf eine kleine, rundliche Frau, die von Kopf bis Fuß verschleiert war.
Fardouza parkte den Wagen zwischen zwei Autowracks, und wir stiegen aus. Ich ging direkt auf Safas Mutter zu, die ich sofort von dem Foto wiedererkannte, und begrüßte sie auf Somali. Spontan streckte ich beide Arme aus, um sie zu umarmen. Doch die Somalierin drehte sich zur Seite. Ich ahnte, dass mir hier noch einiges bevorstehen würde.
»Ich bin Waris«, versuchte ich mit ihr ins Gespräch zu kommen, »und wie ist dein Name?«
Die junge Frau blickte stumm an mir vorbei.
»Maman heißt Fozia«, rief Safa und ergriff die Hand ihrer Mutter. »Komm, Waris, Papa, meine Brüder, meine Großmutter, meine Onkel und Tanten warten schon auf dich.«
Damit schnappte sie sich nun auch meine Hand und zog uns beide
Weitere Kostenlose Bücher