Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
besaß Safa eine somalische Tracht, die unsere Foundation-Mitarbeiterin spontan bei den Eltern des Mädchens abgeholt und ins Hotel gebracht hatte. Nun stand Safa in dem Gewand vor mir, das ihre Mutter für sie genäht hatte und in dem sie wie eine kleine Kriegerin aussah.
»Toll siehst du aus«, sagte ich stolz.
»Du bist die schönste Frau, die ich kenne«, gab Safa das Kompliment an mich zurück.
Ich ging zu dem großen Spiegel im Vorraum und warf einen prüfenden Blick hinein. Die Modedesignerin Sagal hatte tatsächlich ein Kleid für mich ausgesucht, das perfekt zu mir passte. Es war schlicht und dennoch elegant. Der fließende Stoff und der geradlinige Schnitt unterstrichen meine schlanke Figur, das Bordeauxrot hob sich feurig von meiner dunklen Haut ab. Feurig passt zu mir, dachte ich schmunzelnd.
Gut eine halbe Stunde später war es dann endlich so weit. Joanna, die den Ablauf der Modenschau gemeinsam mit Sagal koordinierte, gab mir per Telefon ein kurzes »Go«, wie ich es im Laufe meiner Karriere schon häufig gehört hatte.
»Safa, wir fahren jetzt mit dem fliegenden Zimmer hinunter und werden dann zusammen auftreten, okay?«, versicherte ich mich noch einmal, ob Safa all das wirklich wollte.
»Okay. Was ist, wenn ich hinfalle?«
Ich konnte die Bedenken des Mädchens verstehen, nur allzu oft hatte ich früher dieselben Ängste gehabt. »Keine Sorge, das wirst du nicht«, beruhigte ich die Kleine. »Ich bin da und halte dich fest.«
Das hektische Treiben in dem kleinen Raum im Erdgeschoss, der zu einer Garderobe umfunktioniert worden war, glich jenem bei den großen Fashionshows auf der ganzen Welt. Mit aufgerissenen Augen beobachtete Safa die großgewachsenen, schlanken Models, die zum Teil halb nackt herumliefen, um sich das nächste Modell zu schnappen, das es zu präsentieren galt. Rasch schlüpften sie hinein und liefen sogleich wieder hinaus auf den Catwalk.
»Hopp, hopp, das muss schneller gehen«, trieb Sagal die Mädchen im Takt des modernen Beats an, der von draußen hereinschallte.
Die Modenschau war in vollem Gange. Rund einhundertfünfzig Gäste des Lions Clubs von Dschibuti hatten auf der Terrasse Platz genommen, um die neuesten Kreationen der jungen Designerin zu begutachten und hoffentlich viel Geld für die öffentlichen Schulen der Stadt lockerzumachen. Safa und ich sollten als Letzte auftreten.
»Ihr seid das Highlight der Show«, erklärte uns Sagal, die meine Zusage immer noch nicht fassen konnte. Dass ich zusammen mit meinem Patenkind Safa über den Catwalk laufen wollte, hatte bei ihr noch größere Begeisterungsstürme ausgelöst. Sie wusste, dass dieses Bild garantiert durch die lokalen Medien gehen würde.
»Ladies and Gentlemen, Madames et Monsieurs«, hörte ich eine Stimme draußen ins Mikrofon sagen.
»Gleich geht’s los«, wisperte ich Safa zu und nahm sie bei der Hand.
»Wir freuen uns, einen Überraschungsgast begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen, Waris Dirie!«
Hand in Hand schritten mein Patenkind und ich ins Scheinwerferlicht, wo uns tosender Applaus empfing. Als hätten wir es Dutzende Male geprobt, liefen wir perfekt im Takt der Musik den roten Laufsteg entlang. Am anderen Ende angekommen, blieben wir kurz stehen. Safa stemmte die Arme in die Hüften, wie sie es bereits vor zwei Tagen in ihrem neuen Badeanzug gemacht hatte, und strahlte ins Publikum, dessen Bewunderung sie ganz offensichtlich genoss. Nebeneinander gingen wir wieder zurück – die große und die kleine Wüstenblume.
Für das Schlussbild versammelten sich anschließend noch einmal alle Models und die Designerin unter kräftigem Applaus auf dem Laufsteg. Der Hoteldirektor eilte mit einem Mikrofon herbei und bedankte sich bei allen Beteiligten.
»Waris, danke, dass Sie uns heute Abend die Ehre geben«, richtete er nun seine Worte an mich. »Verraten Sie uns bitte noch, wer die hübsche junge Dame ist, die Sie mitgebracht haben?«, fragte er.
Ich ergriff das Mikrofon. »Das ist Safa, mein geliebtes Patenkind. Sie hat in dem Film
Wüstenblume
mitgespielt.« Mein Blick wanderte durch die Publikumsreihen. Ganz hinten in einer Ecke entdeckte ich schließlich Idriss und Fozia, die neben Linda und Fardouza saßen. »Safa hat mich in der schrecklichen Beschneidungsszene gespielt«, fuhr ich fort und sah dabei eindringlich zu Safas Mutter hinüber. »Beinahe wäre ihr im echten Leben das gleiche grausame Schicksal widerfahren. Doch die Desert Flower Foundation hat sich dazu
Weitere Kostenlose Bücher