Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
womöglich selbst Beschneiderin? Lebte meine kleine Wüstenblume mit einer Frau unter einem Dach, die das Leben unzähliger Mädchen zerstört hatte?
Mein Herz raste, meine Hände zitterten. War der Vertrag, mein Kampf um Safas glückliches Leben, meine Einladung nach Europa, meine Hoffnung, Safas Familie auf unsere Seite gezogen zu haben, war all das umsonst gewesen? Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich war verzweifelt.
Ich musste weg hier. Weg von der feiernden Meute, die keinerlei Vorstellung davon hatte, was in mir vorging. Klatschend hatten sie vorhin meine Arbeit gewürdigt, aber was hatten sie je selbst zur Verbesserung der Situation in Dschibuti beigetragen? Die meisten der Gäste lebten hier und hatten wichtige Funktionen im Land inne, bewirkt hatten sie in den letzten Jahren jedoch allesamt kaum etwas im Kampf gegen FGM .
Einsam ließ ich mich auf einem kleinen Fels am Strand vor dem Hotel nieder. Das Lachen, die Musik, das Klappern und Klirren von Geschirr und Gläsern – nichts davon nahm ich wirklich wahr. Die bedrohliche Stille meines Kampfes, in dem ich mich so einsam fühlte wie selten, erstickte jegliches Geräusch um mich herum. So kam es, dass ich den jungen Mann, der auf einmal neben mir saß, nicht kommen gehört hatte.
»Alles okay?«, fragte er. Jochen, der deutsche Marinesoldat, den ich beim Joggen kennengelernt hatte, klang ernstlich besorgt.
Dieses Mal konterte ich nicht so humorvoll wie am Abend zuvor. »Nichts ist okay«, sagte ich nüchtern.
»Aber euer Auftritt war doch fabelhaft«, antwortete der Hamburger. Offensichtlich war auch er bei der Modenschau im Publikum gewesen, ich hatte ihn nur nicht gesehen.
Ich schwieg.
»Geht es um das kleine Mädchen, das du dabeihattest?«
Ich sah zu ihm hinüber. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass er seine Militäruniform trug und das blonde Haar mit Gel streng aus dem Gesicht gekämmt hatte. Seine Züge wirkten dadurch noch kantiger und passten gar nicht zu dem sanften Blick, den er mir zuwarf.
»Sie heißt Safa«, sagte ich nach einer Weile.
Dann erzählte ich Jochen, wie sie zu meinem Patenkind geworden war, was ich mit ihr vorhatte, warum ich mich so für sie einsetzte und welch schreckliche Ängste nun mein Glück trübten. Gut eine halbe Stunde lang hörte mir der Marinesoldat schweigend zu. Ich wusste, dass er mir keinen Rat geben konnte.
»Waris, du kommst doch selbst aus Somalia, oder?«, fragte Jochen nach einer Weile. »Hast du noch Verwandte dort?«
»Ja, meine Mutter, mein Vater und zwei meiner Brüder leben in der Nähe der Stadt Galkayo, nicht weit entfernt von der äthiopischen Grenze«, erklärte ich.
Jochen sah mich an: »Das ist ja mitten im Bürgerkriegsgebiet! Wieso holst du sie da nicht raus?« Er wunderte sich darüber, dass ich mir Sorgen um ein kleines Mädchen machte, das in Dschibuti wenigstens vor dem Krieg sicher war, meine Familie aber im blutigen Krieg zurückließ.
»Ich habe sie vor einigen Jahren nach Europa geholt. Ich wollte sie so gerne bei mir haben«, erzählte ich ihm. »Aber ihr Heimweh war stärker als die Angst vor dem Krieg. Obwohl es mir beinahe das Herz brach, musste ich sie zurück nach Somalia gehen lassen. In meinem tiefsten Inneren konnte ich sie verstehen. Auch ich empfinde oft große Sehnsucht nach Afrika, nach meinen Wurzeln, nach der Wüste.«
Jochen sah mich mitfühlend an. »Afrika ist ein wunderschöner Kontinent.«
»Ein Kontinent, der leider gerne von anderen Staaten vergessen wird«, fügte ich hinzu. »Zwar werden ständig Hilfsgüter und Spenden geschickt. Die Wurzeln der Probleme werden damit aber nicht erreicht. Die jungen Menschen hier brauchen Schulbildung und Arbeit. Die Welt muss in Somalia investieren. Das bedeutet nicht, dass man den Somaliern Geld oder Lebensmittel schenken soll, sondern dass man Arbeitsplätze schafft, Schulen und Krankenhäuser baut, in Straßenbau und Energiewirtschaft investiert. Verstehst du mich, Jochen? Junge Menschen mit einer guten Ausbildung bekommen Jobs, und Menschen, die Arbeit und damit ein eigenes Einkommen haben, werden nicht kriminell.« Nachdenklich starrte ich auf das im Dunkeln verborgene Meer.
Ich hatte Jochen freilich nichts Neues erzählt. Als Soldat wusste er bestens über die Hintergründe Bescheid.
»Ich bin ganz auf deiner Seite«, stimmte er mir zu. »Genauso verhält es sich auch mit deinem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung. Waris, du kannst nicht allen Familien Geld dafür bezahlen, damit sie ihre
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