Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
die im Halbdunkel leuchtete: kurz nach sechs.
»Hallo?«, murmelte sie nur verschlafen.
»Guten Morgen, Madame«, trällerte eine muntere Frau ins Telefon. »Wir haben Ihr Gepäck gefunden. Es ist tatsächlich in Addis Abeba hängen geblieben und in spätestens achtundvierzig Stunden da.«
Immerhin beginnt der Tag mit einer guten Nachricht, dachte Sophie, als sie sich kurz darauf ins Bad schleppte, wo sie sich deutlich mehr Zeit ließ als sonst. Anschließend wählte sie auf dem Hoteltelefon die Durchwahl zum Zimmer von Idriss. Als er nicht abnahm, fuhr sie einen Stock tiefer und klopfte an seine Tür. Abermals keine Reaktion. Langsam wurde Sophie unruhig, meine Warnung fiel ihr wieder ein, und das Ziehen in ihrem Bauch verhieß nichts Gutes.
Wo war Idriss? Schlief er noch tief und fest, obwohl er am Vorabend so früh ins Bett gegangen war? Oder war er gar nicht da?
Noch einmal klopfte sie. Nichts.
Nachdem sie ihn auch im Frühstücksraum vergeblich gesucht, die Lobby ohne Erfolg nach ihm durchforstet und an der Rezeption nach ihm gefragt hatte, lief sie hinaus auf die Straße. Womöglich hatte er sich angepasst und rauchte draußen? Doch auch dort war von Safas Vater keine Spur. Wo konnte er hingelaufen sein? Sophies Herz raste. Schließlich kannte sich der Afrikaner in Paris doch gar nicht aus. Vielleicht hatte er Zigaretten gebraucht und sich verlaufen? Auf seinem Handy brauchte sie ihn gar nicht erst anzurufen – schon kurz nach der Ankunft hatten sie festgestellt, dass das Netz in Europa nicht funktionierte. Die afrikanische Netzbetreiber-Firma hatte offenbar kein Roaming-Abkommen mit Frankreich.
Niedergeschlagen kehrte sie in den Frühstücksraum zurück, da es sinnlos war, in der Millionenmetropole umherzuirren und ihn zu suchen.
Sie hatte gerade einen Kaffee bestellt, als Idriss den Raum betrat. Grußlos ging er ans Buffet, lud Käse, Marmelade und Toastbrot auf seinen Teller und setzte sich zu ihr an den Tisch.
»Wo warst du?«, fragte sie besorgt. »Ich habe dich überall gesucht.«
»Hab nur ’ne kurze Runde um den Häuserblock gedreht«, erwiderte er kauend und nahm einen Schluck von Sophies Kaffee, den die Hotelangestellte inzwischen an den Tisch gebracht hatte. Der Geruch des frisch gebrühten Kaffees konnte die Alkoholfahne, die seinem Mund entwich, jedoch nicht verbergen.
»Bist du etwa betrunken?«, wagte Sophie zu fragen.
Empört rief der Afrikaner: »Blödsinn! Ich war nur Zigaretten kaufen.«
Sophie hatte Idriss am Vorabend zwanzig Euro gegeben – für den Notfall. Ein Fehler, wie sich jetzt herausstellte.
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, erklärte Sophie eindringlich. »Bitte geh nicht einfach weg, ohne mir vorher Bescheid zu geben. Ich trage die Verantwortung für euch. Waris würde es mir nie verzeihen, wenn euch etwas zustößt.«
»Wo ist Waris überhaupt? Ich muss dringend etwas mit ihr besprechen«, fragte Idriss unbeeindruckt. Ohne die Antwort abzuwarten, stand er auf und ging am Buffet Nachschub holen.
Als er zurückkam, antwortete Sophie: »Ich habe gestern mit Waris telefoniert, sie wird bald kommen.« Hoffentlich, fügte sie in Gedanken hinzu.
Dann ging sie Safa und Inab wecken, damit sie alle zusammen frühstücken konnten. Die Mädchen ließen es sich schmecken, und anschließend machten sie sich alle zusammen auf den Weg in die Innenstadt, um wie versprochen shoppen zu gehen. Doch zunächst galt es, die Zugangsschranken zur U-Bahn zu überwinden.
»Hier steckt man das Ticket rein, und dann geht man einfach durch«, sagte Sophie und machte es ihrer Reisegruppe vor.
Ängstlich beäugte Safa die Metallstange, die ihr nur knapp unter ihrem Kinn den Weg versperrte. »Nein, da mag ich nicht durchgehen«, weigerte sie sich.
»Los, stell dich nicht so an. Geh endlich durch!«, schnauzte Idriss seine Tochter barsch an. »Das kann ja wohl nicht so schwer sein.«
Eingeschüchtert blieb Safa weiterhin reglos stehen. Liebevoll griff Inab nach der Hand ihrer Freundin und führte sie behutsam durch die Schranke. Als Nächstes war Idriss an der Reihe. Ohne zu zögern, schob er sein U-Bahn-Ticket in den Schlitz – leider des falschen Automaten. Die Schranke direkt vor ihm bewegte sich keinen Millimeter, als er dagegenstieß.
»Das Ding ist kaputt!«, schrie er wütend.
»Der Automat, in den du dein Ticket gesteckt hast, gehört zu der Schranke nebenan«, erklärte Sophie ihm geduldig. »Du musst drüben durchgehen.«
Anstatt die Seite zu wechseln, sprang Idriss einfach
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