Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
hatten, wild durch den Raum, bis sie erschöpft auf ihre Betten fielen und einschliefen.
»Komm, wir setzen uns noch ein bisschen raus in den Garten. Dort können wir etwas trinken und rauchen«, versuchte Sophie den Kettenraucher zu ködern, nachdem sie die Zimmertür der Mädchen hinter sich geschlossen hatten.
Idriss war zwar einverstanden, aber offenbar nicht an einer Unterhaltung interessiert.
Mehrere Minuten des Schweigens vergingen, während Sophie nach den richtigen Worten rang.
»Ist es schlimm für dich, dass deine Frau alleine mit den beiden Jungen zurückgeblieben ist?«, eröffnete sie vorsichtig das Gespräch.
Safas Vater nahm einen Schluck von dem Bier, das der Kellner soeben serviert hatte. Die neuen Sachen, inklusive der knallorangefarbenen Daunenjacke, die er trotz zwanzig Grad Außentemperatur trug, ließen ihn wesentlich jünger wirken als die abgetragenen Kleider, mit denen er in Paris angekommen war. Als Idriss sich eine Zigarette anzündete, konnte Sophie im Schein des Feuers erkennen, dass sich sein Blick verändert hatte. Angst und Wut waren tiefer Sehnsucht gewichen.
»Ich kann kaum schlafen, weil ich mir so große Sorgen mache«, sagte er nun. Dicker Rauch quoll zwischen seinen braunen Zähnen hervor. »Ich war noch nie von
mon chérie
getrennt. Sie ist zum Glück bei Verwandten in Addis Abeba und nicht alleine in Dschibuti.« Dann schwieg er wieder.
Obwohl ihr bereits die nächste Frage auf der Zunge brannte, wartete Sophie ab, bis er weiterredete.
»Meine Söhne Mohammed und Nour sind inzwischen bei ihren Großeltern. Die beiden sind das Wichtigste auf der Welt für mich. Ich vermisse sie sehr.«
Verwirrt fragte Sophie nach: »Safa hat immer von Amir und Nour gesprochen. Habe ich da etwas falsch verstanden?«
Idriss grinste. Er schien gerne über seine Familie zu sprechen. »Hast du ein Stück Papier?«, fragte er.
Dann holte er einen Stift, den er in seinem Hotelzimmer gefunden hatte, aus seiner Jackentasche. Sophie kramte in ihrer Handtasche, fand einen beschmierten Zettel und gab ihn dem Mann. Wie ein kleines Kind kritzelte er zittrig ein paar wackelige, kaum lesbare Buchstaben darauf.
»Idriss Nour Souldan«, las er ganz langsam vor. »Das ist mein vollständiger Name. Bei uns tragen die Kinder zusätzlich zu ihrem Geburtsnamen die ersten zwei Namen des Vaters.« Er kritzelte weiter. »Deshalb heißt meine Tochter auch Safa Idriss Nour. Und mein Fünfjähriger heißt Mohammed Amir Idriss Nour.«
Langsam begann Sophie das fremde Konzept zu durchschauen. »Wieso nennt ihr ihn dann Amir? Sein erster Name ist doch Mohammed?«
Stolz erklärte der dreifache Vater: »Den Namen Mohammed darf man als guter Moslem einem Kind nicht ohne Beinamen geben. Zu Hause nennen wir ihn deshalb Amir, aber sobald er in die Schule kommt, wird er Mohammed genannt.«
»Ich verstehe«, sagte Sophie, sah konzentriert auf das Stück Papier und fragte: »Euer Jüngster heißt dann also Nour Idriss Nour, richtig?«
Idriss nickte. »Genau, er ist jetzt drei Jahre alt. Meine Söhne sind gute Jungs.«
Während er einen üppigen Schluck von seinem Bier nahm, wagte sich Sophie einen Schritt weiter vor. »Waris hat mir erzählt, dass es deinem älteren Sohn gesundheitlich nicht gutgeht. Darf ich dich fragen, was er hat?«
Der Blick ihres Gegenübers verfinsterte sich sofort. »Mein Sohn hat eine schlimme Lungenkrankheit, schon seit er klein ist. Er hatte Husten, der von Tag zu Tag schlimmer wurde. Irgendwann lag er nur noch röchelnd im Bett. Ich dachte, er würde sterben. Noch nie in meinem Leben habe ich davor geweint, doch damals tat ich es.« Er blickte traurig zu Boden und erzählte, dass Amir ein starker Junge sei und sich monatelang gegen den Tod gewehrt habe. »Eine Bekannte aus Balbala ist Heilerin. Obwohl wir sie kaum bezahlen konnten, haben wir sie immer wieder kommen lassen. Doch auch sie konnte nichts ausrichten. Nachts haben wir kaum noch geschlafen, weil wir Mohammed umhertragen mussten, damit er nicht im Liegen erstickt.« Erst als Safa in dem Film
Wüstenblume
mitgespielt und er den Vertrag mit der Desert Flower Foundation unterzeichnet hatte, hätten sie dem Sohn helfen können, berichtete er weiter. »So sind wir an Medikamente gekommen und zu Doktor Acina, die Mohammed regelmäßig behandelt. Trotzdem wird er wohl nicht sehr alt werden«, fügte Idriss hinzu und wandte sich ab, damit Sophie nicht die Tränen in seinen Augen bemerkte.
Auf einmal tat es ihr leid, dass sie ihn
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