Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
völlig schief über die Augen hing.
Sophie lachte. »Warte mal«, sagte sie und zog vorsichtig die Brille aus Safas Gesicht. »Siehst du die Einkerbung hier? Die ist für deine Nase.« Damit drehte sie Safas neues Lieblingsteil um und setzte es richtig herum auf die kleine Nase des Mädchens.
Stolz betrachtete Safa sich von allen Seiten in einem der riesigen Spiegel.
Als Nächstes war Inab an der Reihe, also fuhren sie mit der noch immer skeptisch beäugten Rolltreppe hinunter in die Abteilung für junge Frauen. Idriss war noch nicht von seiner Zigarettenpause zurückgekehrt, doch Sophie vertraute darauf, dass er sich zwischenzeitlich in der Herrenabteilung umsah.
So schüchtern Inab anfänglich in dem Fashionstore auch gewesen war, mit einem Mal geriet sie förmlich in einen Kaufrausch. Der Kleiderstapel auf ihrem Arm wuchs von Minute zu Minute. Unterwäsche, Kleider, Schuhe, Schmuck – kein Kleiderständer, kein Wühltisch war vor der Achtzehnjährigen sicher. »Das will ich haben«, rief sie begeistert. »Und das auch.«
»Inab, so viele Sachen kann ich dir leider nicht kaufen«, versuchte Sophie sie zu bremsen. »Es muss noch ein wenig Geld für die Ausstattung von Idriss übrig bleiben.«
Enttäuscht verharrte die Afrikanerin kurz, um schließlich einige Stücke von ihrem ausgestreckten Arm zu nehmen und zurückzulegen.
Als Inab kurz darauf den Vorhang der Umkleidekabine öffnete, musste Sophie spontan an den Film
Pretty Woman
denken. Statt eines schüchternen afrikanischen Mädchens in einem langen braunen Rock, einer grauen, löchrigen Weste und einem altmodischen Schal stand eine junge, attraktive Frau in gelben Jeans, einem strahlend weißen Hemd und stylishen Sommerboots vor ihr. Aus dem hässlichen Entlein war ein schöner Schwan geworden, eine junge Lady, die man bedenkenlos zu jedem Geschäftstermin hätte mitnehmen können.
»Gehe ich so als neue Mitarbeiterin der Desert Flower Foundation durch?«, fragte Inab lachend. Ihre Körperhaltung verriet, dass sie mit dem neuen Look auch neues Selbstbewusstsein erlangt hatte.
»Du gehst sogar als Model durch!«, erwiderte Sophie, der vor Freude ganz warm ums Herz wurde.
»Dann brauche ich aber auch noch ein paar andere Outfits … die Lederjacke hier zum Beispiel«, konterte Inab schlagfertig.
Sophie wurde ungeduldig und wies das Mädchen nicht mehr ganz so nett wie zuvor in seine Schranken. Nachdem Inab sich wieder umgezogen hatte, trottete sie schmollend hinter Sophie und Safa her in die Herrenabteilung, wo sie nach Idriss Ausschau hielten. Sie verstand nicht, warum man ihr ausgerechnet hier, im Schlaraffenland, Limits setzte. Eines Tages, wenn sie ihr eigenes Geld verdiente, würde sie es hoffentlich begreifen.
Safas Vater hatte sich tatsächlich bereits neu eingekleidet und wartete auf die drei.
»Super, Idriss«, sagte Sophie erleichtert, gab jedoch beim Anblick der Winterjacke in seiner Hand zu bedenken: »Die brauchst du wohl eher nicht. Wir haben Frühsommer, und es wird von Tag zu Tag heißer in Europa. Für Dschibuti ist die Jacke doch auch viel zu warm.«
Wortlos riss Idriss ihr das Kleidungsstück, das sie ihm abgenommen hatte, wieder aus der Hand und funkelte sie erbost an.
Inab fing lauthals an zu lachen. »Uns ist hier morgens und am Abend ziemlich kalt«, erklärte sie ihrer Begleiterin, die nun ihrerseits staunte. »In Dschibuti hat es die ganze Nacht über dreißig Grad.«
»Gut, dann kaufen wir eben die Daunenjacke, damit du nicht mehr frieren musst«, willigte sie amüsiert ein.
Das Lachen verging ihr allerdings wenige Minuten später, als Idriss und sie nebeneinander in der Kassenschlange standen.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich brauche die Jacke für den Winter in Europa. Wir werden nämlich hierbleiben«, verkündete er.
Sophie lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Was meinte er damit? Und wie stellte er sich das vor? Es war an der Zeit, ein ernstes Wort mit Safas Vater zu reden.
Die Gelegenheit dazu ergab sich allerdings erst nach dem Abendessen. Nach dem Einkaufen hatten sie zunächst eine Stadtrundfahrt gemacht und sich dann im Hotel von den Strapazen erholt. Dann waren sie noch einmal losgezogen und hatten auf Safas Wunsch hin bei Mc Donald’s Hamburger, Pommes und Cola geordert. Wieder im Hotel, waren die beiden Mädchen sofort in ihr Zimmer gestürmt. Sie hatten den Musiksender MTV entdeckt und tanzten zu den Beats europäischer Charthits, die sie noch nie zuvor gehört
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