Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Idriss alleine im Hotel bleiben, doch Sophie, bei der sämtliche Alarmglocken schrillten, schlug ihm die Bitte ab. Sie konnte und wollte Idriss unter keinen Umständen einen halben Tag allein lassen.
Das Strahlen der beiden Mädchen ließ sie ihre Sorgen jedoch schon bald vergessen. Safas und Inabs Augen leuchteten vor Glück, als sie auf den schmalen Wegen an Dutzenden Buden und Imbissständen vorbei zu dem blinkenden Karussell drängten. Sophie freute sich über die Ausgelassenheit der beiden, die in den letzten Tagen richtiggehend aufgetaut waren. Es sollte nicht die letzte Fahrt an diesem Tag bleiben. Kettenkarussell, Kinder-Autodrom, Dosenwerfen, Zuckerwatte, Clowns – sie waren hellauf begeistert, probierten alles aus und ließen sich unbeschwert durch die Luft wirbeln. Im Kinder-Autodrom suchte Safa sich einen kleinen roten Porsche aus, in dem sie neben einem Mädchen mit großen blonden Locken mit stolzgeschwellter Brust ihre Runden drehte. Schüchtern beäugte die Europäerin ihre dunkelhäutige Beifahrerin, die verzweifelt versuchte, das Gefährt unter Kontrolle zu bekommen.
»Rechts, links, nicht da rüber!« Stolz, dass seine Tochter sich für das Autofahren – in seiner Heimat eine reine Männerdomäne – interessierte, gab Idriss ihr von der Bande aus Fahrtipps.
Als Sophie anschließend ein Foto von den beiden kleinen Fahrerinnen machen wollte, versteckte sich das blonde Mädchen zunächst mit verängstigtem Blick hinter Safas Rücken. Erst als die Afrikanerin sie herzlich in den Arm nahm und drückte, entwich auch ihr ein fröhliches Lachen.
Ich hatte Sophie nach meinem Besuch in Dschibuti erzählt, wie beliebt Safa in der Schule war, und nun erlebte sie es selbst: Das einfühlsame und aufgeschlossene Mädchen fand schnell Freunde, und zwar überall auf der Welt.
Müde und völlig überwältigt von den fremden Eindrücken, machten sie sich am Nachmittag mit der überfüllten U-Bahn auf den Rückweg ins Hotel. Inab, die auf dem Jahrmarkt noch so ausgelassen und fröhlich gewesen war, wurde ganz still und verzog immer wieder das Gesicht, als hätte sie starke Schmerzen.
»Was ist mit dir?«, fragte Sophie besorgt. »Ist es sehr schlimm?«
»Ja«, stöhnte Inab, »aber ich kenne das ja schon. Das habe ich jeden Monat.«
Sofort wusste Sophie Bescheid und steuerte den nächsten Drogeriemarkt an. Sie bat Idriss, mit Safa kurz draußen zu warten, und zog Inab in dem Laden zum Regal mit den Artikeln für Monatshygiene. Ratlos stand Inab davor, sah sie nur mit großen Augen an.
»Also, ich würde an deiner Stelle die hier nehmen«, sagte Sophie, griff zu einer Packung Binden und hielt sie dem Mädchen hin.
»Was ist das?«, fragte die junge Afrikanerin verlegen.
Sophie wurde wieder einmal bewusst, dass Inab in einer völlig anderen Welt aufgewachsen war als sie. Einer Welt, in der es niemanden interessierte, wie eine Frau mit ihrer Monatsblutung zurechtkam. Eine Welt, in der es völlig normal war, dass eine Frau aufgrund ihrer Genitalverstümmelung jeden Monat schreckliche, mit normalen Krämpfen nicht vergleichbare Schmerzen erleiden musste.
Nachdem sie anschließend in einer Apotheke noch ein schnell wirkendes Schmerzmittel besorgt hatten, ging es Inab zum Glück bald besser. Das Medikament erlöste sie – zumindest für einige Stunden – von ihren Schmerzen, und beim Abendessen in einer Pizzeria war sie schon sichtlich gelöster. Anschließend gönnten die vier sich noch ein Eis und schlenderten damit über einen kleinen Flohmarkt, auf dem Menschen aus aller Herren Länder ihre Waren feilboten.
»In der Altstadt von Dschibuti haben wir auch so einen Markt«, erklärte Idriss. Die bunten Tücher, die exotischen Gerüche nach Gewürzen und Räucherstäbchen aus fernen Ländern und die Marktleute, von denen viele aus Afrika stammten, ließen ihn sichtlich wehmütig werden.
Er schlug vor, eine Runde über den Flohmarkt zu drehen, doch nur Safa war von der Idee begeistert. So trennten sie sich, und während sich Vater und Tochter ins Gedränge stürzten, ruhten Inab und Sophie sich aus.
Sie setzten sich auf eine Betonbank am Rande des Marktplatzes, wo sich auch ein alter Akkordeonspieler postiert hatte und Chansons spielte. Wortlos lauschten die beiden Frauen eine Weile den melancholischen Klängen der Musik.
»Meine Mutter spielt auch ein Instrument«, sagte Inab unvermittelt. »Als ich klein war, hat sie mir oft etwas auf ihrer Holzflöte vorgespielt. Das war sehr schön.« Ihre Augen
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