Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
noch die letzten ruhigen Momente genießen. Seufzend ließ ich mich ins Gras fallen, streckte mich genussvoll aus und schloss die Augen.
Tüt, tüt, tüüüüt! Ein lautes Hupen ließ mich hochschrecken. Ich war in der Sonne eingeschlafen und hatte das Auto, das über die Schotterstraße die Anhöhe hinaufgefahren war, gar nicht bemerkt. Ich sprang auf und lief zu dem Parkplatz vor dem Haus, in dem wir nun eine ganze Woche verbringen würden.
»Waris, Waris, Waris!«, hörte ich Safas aufgeregte Stimme, die aus dem Wagen drang.
Hektisch riss ich die Gartentüre auf und lief Inab und Safa entgegen. Die kleine Safa war schneller als die ältere Inab. Als wollte sie die ganze Welt umarmen, breitete sie die Ärmchen aus und sprang an mir hoch. Tränen der Freude stiegen mir in die Augen.
»Safa, Babygirl, meine kleine Wüstenblume«, murmelte ich und drückte das Mädchen fest an mich.
Minuten vergingen. Am liebsten hätte ich sie nie wieder losgelassen.
Da hörte ich Inab ganz leise und schüchtern neben mir sagen: »Hallo, Waris.« Sie klang ein wenig enttäuscht, vermutlich, weil ich zuerst Safa begrüßt hatte.
Ich löste mich von der Kleinen und umarmte nun auch Inab innig. »Ich freue mich so sehr, euch endlich wiederzusehen«, rief ich, nahm die beiden Mädchen an den Händen und sprang mit ihnen zu dem Wagen, vor dem Walter, Sophie und Safas Vater standen. »Hallo, Idriss«, sagte ich freundlich, ging auf ihn zu und streckte ihm höflich die Hand entgegen.
Verunsichert starrte er darauf, und dann drückte der Mann mich völlig unverhofft an sich. Verwirrt sah ich über seine Schulter zu Sophie und Walter hinüber, die mir verschwörerisch zuzwinkerten.
Unsere laute Begrüßung hatte auch die Kinder aus dem Wald und Joanna aus dem Haus gelockt.
»Hi, ich bin Hawo«, stellte sich die Tochter meines Bruders vor, nachdem Joanna die Gäste freudestrahlend begrüßt hatte.
Fasziniert blickten Inab und Safa an der Vierzehnjährigen hoch, die bereits über einen Meter achtzig groß war. Hawos ebenmäßiges, hübsches Gesicht und ihre asiatisch anmutenden Augen hatten die Mädchen sofort in ihren Bann gezogen. Mit ihrem modischen Undercut-Haarschnitt und den lässigen Klamotten wirkte Hawo wie ein Model. Sie hätte ohne weiteres bereits auf jedem Laufsteg arbeiten können, doch dagegen wehrte ich mich strikt. So stolz ich auch auf meine Adoptivtochter war, sie sollte zuerst ihren Schulabschluss machen, danach standen ihr immer noch alle Türen offen.
Nun gesellte sich Mohammad, den wir liebevoll Mo nannten, zu seiner jüngeren Schwester. Auch er war ein guter, fleißiger Junge, obwohl er es zeit seines Lebens nie leicht gehabt hatte. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Schon bald hatte sich mein Bruder, wie in Afrika üblich, eine andere Frau genommen, die ihm sechs Töchter gebar. Obwohl Mohammad der einzige Sohn meines Bruders war, überließ er ihn unserer Mutter. Mo wuchs also bei seiner Großmutter in dem kleinen somalischen Dorf Burya Khab auf, was »das Dorf der Unbeschnittenen« bedeutet. Vor vielen Jahrzehnten hatte dort mal ein Stamm gelebt, der Mädchen nicht beschneiden ließ. Heute gab es im Dorf der Unbeschnittenen leider kein einziges Mädchen mehr, das von dem grausamen Ritual verschont blieb – was mich letztlich auch dazu veranlasst hatte, Hawo und Mo im Sommer 2010 mit nach Polen zu nehmen.
»Mama hat uns schon viel von euch erzählt«, sagte Mo, der mich wie seine Schwester als seine Mutter bezeichnete.
Hilfsbereit, wie er war, nahm er die Taschen der Mädchen und führte sie in das Haus, wo Leon sogleich die Zimmerverteilung vornahm.
»Hier schlafen Mo und ich«, stellte mein Sohn sofort klar.
Mein Jüngster wusste eben genau, was er wollte. Doch man konnte dem Lausbub mit seiner kecken Mimik und den langen Wimpern, mit denen er im Bedarfsfall unschuldig klimperte, einfach nicht böse sein. Während er durch das zweistöckige Haus wirbelte und den Gästen erklärte, wer wo zu schlafen hatte, beobachtete Safa ihn fasziniert. Sie hatte sichtlich Gefallen an ihm gefunden.
Bis alle ausgepackt hatten, dauerte es eine Weile, und danach ließen wir den aufregenden Tag gemeinsam ausklingen. Es war alles sehr harmonisch: Sophie hatte im Ort eingekauft, und nun saßen wir Erwachsenen um den großen Tisch auf der Terrasse, beobachteten die Kinder beim Spielen und plauderten. Selbst Idriss wirkte entspannt. Obwohl er mich am Telefon vorgewarnt hatte, machte er bisher keinerlei
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