Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Anstalten, mit mir über unseren Vertrag zu sprechen. Ich überlegte, ob ich das Thema aufgreifen sollte, ließ es aber vorerst bleiben, um den ersten Abend nach unserem Wiedersehen nicht zu verderben. Denn ich ahnte, dass das Gespräch mit Safas Vater kein friedliches werden würde.
»Waris, morgen ist das große Charity Dinner, zu dem du eingeladen bist«, erinnerte mich Walter im Verlauf des Abends noch einmal.
Namhafte Persönlichkeiten aus ganz Deutschland würden im Restaurant Käfer in München zugunsten der Desert Flower Foundation zusammenkommen und sich dabei auch einige Ausschnitte meines Films
Wüstenblume
ansehen. Der Gedanke daran ließ die Unbeschwertheit, die mich durch diesen schönen Tag getragen hatte, im Nu verfliegen. Obwohl ich meinen eigenen Film schon so oft gesehen hatte, schnürte es mir allein beim Gedanken an die Beschneidungsszene jedes Mal aufs Neue die Kehle zu. Nachdenklich starrte ich in die Finsternis, die sich über Oberammergau gelegt hatte.
Da spürte ich plötzlich Safas zarte Hand auf der meinen. »Waris, darf ich mitkommen?«, fragte die kleine Wüstenblume.
»Natürlich, Safa«, antwortete ich. »Wir zwei gehen morgen Abend gemeinsam dorthin und werden all den angesehenen Leute erklären, wofür wir beide kämpfen.«
Wie jeden Morgen drehte ich auch in Oberammergau gleich nach dem Aufstehen eine Runde. Als ich vom Joggen zurückkehrte, hörte ich schon von draußen lautes Geschrei. Ich konnte nicht erkennen, wer da brüllte, allerdings war klar, dass etwas vorgefallen sein musste. Ich spurtete durch den Vorgarten, riss die Tür auf und stand mitten in einem heillosen Chaos.
Inab, Safa und Leon liefen kreischend durchs Haus. Idriss, der einen großen Ast in der Hand hielt, war ihnen auf den Fersen. Mit offenem Mund beobachtete ich die vier. Erst als Safas Vater zum dritten Mal an mir vorbeikam, ohne mich zu beachten, erkannte ich, was er da in der Hand hielt. An dem Ast klebte eine lange dunkelbraune Nacktschnecke, die sich verzweifelt um den Stecken wand.
Safa versteckte sich hinter mir und schrie hysterisch: »Hilfe, er hat eine Schlange, und die will uns aufessen!«
»Was geht hier vor?«, fragte ich streng. »Kann ich euch nicht einmal für eine halbe Stunde alleine lassen?«
Erschrocken ließ Idriss den Ast fallen, woraufhin sich die Nacktschnecke am Boden festsog.
»Iiiiiih«, kreischten die Mädchen nun noch lauter.
»Ruhe!«, stoppte ich ihre Hysterie und griff nach dem armen Tier auf dem Boden. »Das ist keine Schlange, sondern eine Schnecke«, erklärte ich.
Mit offenem Mund sahen die Kinder mir nach, als ich in den Garten hinausging, um das Tier auf einen Strauch zu setzen. Neugierig kam Safa hinterher. »Safa, diese Schnecke ist ein Lebewesen, genau wie wir. Sie hatte ganz bestimmt viel, viel mehr Angst vor euch als ihr vor der Schnecke«, erklärte ich mit sanfter Stimme.
»Entschuldige, liebe Schnecke«, sagte Safa demütig.
Der Tag verlief ohne weitere Vorkommnisse. Ich genoss die Stunden mit Safa, die wir im Garten verbrachten, und dann war es an der Zeit, uns für den Abend hübsch zu machen.
Gerade als ich den Reißverschluss an Safas Kleid hochziehen wollte, stürzte Idriss erbost ins Zimmer.
»Waris, meine Tochter geht sicher nicht alleine mit fremden Menschen in ein Lokal. Das kann ich nicht erlauben«, schnaubte er aufgebracht.
Einen Moment später tauchte Inab hinter ihm auf und wollte mich ebenfalls begleiten. Natürlich hätte ich die beiden genauso gerne mitgenommen wie Safa, doch die Sitzplätze waren begrenzt, und wir durften nur eine Person zu dem Essen einladen. Da Safa eine wichtige Rolle in dem Film spielte, um den sich an diesem Abend alles drehen sollte, war die Entscheidung klar. Anstatt sich meine Erklärung anzuhören, drehten Idriss und Inab sich nur beleidigt um und verließen wortlos den Raum.
»Aber in drei Tagen ist die Verleihung des Thomas-Dehler-Preises«, rief ich ihnen nach. »Da nehme ich euch alle mit! Versprochen.«
Niemand antwortete mir.
Als wir knapp vier Stunden später vor dem Restaurant eintrafen, warteten bereits zahlreiche Presseleute auf uns. Als Safa und ich aus dem Wagen stiegen, ging ein regelrechtes Blitzlichtgewitter los, wie ich es von den vielen roten Teppichen kannte, auf denen ich im Zuge meiner Karriere und meiner Arbeit schon gestanden hatte. Für Safa dagegen war diese Situation gänzlich neu.
Erschrocken blickte sie mich an, als ein Journalist auf sie zustürmte und fragte:
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