Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
die mich nach wie vor keines Blickes würdigte. »Es werden Tage kommen, an denen auch wir etwas gemeinsam unternehmen. Niemand von euch muss auf den anderen eifersüchtig sein. In meinem Herzen ist genug Platz für euch alle.«
Stumm starrte Inab in das Heft.
»Ich hab dich lieb«, seufzte ich schließlich und ging wieder.
Kurz bevor ich die Tür von außen schloss, hörte ich Inab leise sagen: »Ich dich auch, Waris.«
Am nächsten Morgen hatte auch Idriss seinen Ärger vom Vorabend vergessen. Stolz betrachtete er die Bilder von Safa und mir in den Regionalzeitungen, die Walter bereits geholt hatte.
»Jetzt bin ich berühmt«, strahlte mein Patenkind.
Wir verbrachten den Tag in einem Schwimmbad. Safa und Leon tobten sich in dem großen Kinderbecken aus und liefen Hand in Hand hinauf zu der langen Wasserrutsche. Es freute mich, zu sehen, dass sich die beiden so gut verstanden. Walter, Sophie und ich saßen im Restaurant und gingen die wichtigsten Punkte für die Thomas-Dehler-Preisverleihung durch, die in zwei Tagen stattfinden sollte. Safas Vater hatte es sich mit Hawo und Mo auf der Wiese neben dem Pool gemütlich gemacht. Genüsslich paffte er seine Zigaretten und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen.
Ein lautes Platschen ließ ihn hochschrecken. Safa hatte Anlauf genommen und war wie immer furchtlos in das tiefe Becken gesprungen, dass das Wasser nur so spritzte. Ich musste laut lachen, als ich sah, dass Idriss von oben bis unten nass geworden war. Doch der Afrikaner fand die Aktion gar nicht komisch. Erzürnt sprang er auf, zog Safa an den Armen aus dem Becken und schlug ihr mit der flachen Hand auf den Po.
Bevor ich reagieren konnte, stand Hawo neben Idriss und funkelte ihn bitterböse an. »Warum schlägst du sie?«, fuhr sie ihn an.
Stolz beobachtete ich, wie sie sich für das kleine Mädchen starkmachte.
Doch Idriss ließ sich von ihr nicht einschüchtern. »Safa ist meine Tochter«, blaffte er zurück. »Im Koran steht, dass ich sie schlagen darf, wenn sie mir nicht gehorcht. Ich darf jede Frau schlagen, die sich mir widersetzt.«
Daraufhin wurde Hawo richtig wütend. »Du verstehst mich wohl nicht. Wir sind hier in Deutschland, in Europa. Hier gibt es Gesetze, die es verbieten, Kinder, Frauen oder Tiere zu schlagen.«
Der ohnehin schon ausgeprägte Gerechtigkeitssinn meiner Adoptivtochter hatte sich in den letzten Jahren durch meinen Einfluss noch verstärkt. Zum Glück, dachte ich und ging langsam hinüber zum Pool. Einige der anderen Gäste hatten sich bereits nach den beiden umgedreht und lauschten neugierig der heftigen Debatte zwischen Hawo und Idriss. Safas Vater kochte vor Wut, und auch meine Adoptivtochter musste sich schwer beherrschen, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren.
Da kamen Leon, Sophie und Walter herangeeilt, um die Situation zu entschärfen.
»Schwester, willst du ein Eis?«, fragte mein Sohn Safa, die sichtlich unter Schock stand.
Ich ging ebenfalls hinüber, legte einen Arm um Hawo, die Idriss immer noch wütend anfunkelte. »Komm, wir gehen einen Kaffee trinken«, sagte ich und nahm sie mit zu unserem Tisch im Restaurant.
Sophie wiederum nahm Idriss zur Seite, drückte ihm eine Coca-Cola in die Hand und setzte sich mit ihm in die Wiese. Wortlos öffnete er die Dose, nahm einen Schluck und zündete sich eine Zigarette an.
»Möchtest du dich mit mir über dein Land und deine Kultur unterhalten?«, fragte Sophie ihn versöhnlich. Sie hatte das Gefühl, dass er unter heftigem Heimweh litt.
Doch Idriss nahm das Angebot nicht an. »Nein, mich versteht hier sowieso keiner«, brummelte er und stürmte davon.
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19.
Das Fest der Wüstenblumen
A ls konfliktfrei konnte man unseren gemeinsamen Urlaub ganz sicher nicht bezeichnen, auch wenn sich die Gemüter im Schwimmbad bald wieder beruhigt hatten. Immer wieder prallten die unterschiedlichen Kulturen und Weltanschauungen aufeinander. Mir wurde klar, dass ich handeln musste, um die Kluft zwischen meiner Familie und der meines Patenkindes nicht noch größer werden zu lassen. Gewisse Dinge mussten endlich angesprochen werden.
Daher beschloss ich, einen ganz besonderen Familienabend zu organisieren.
»Heute gehört der ganze Tag meiner Familie«, verkündete ich am nächsten Morgen beim Frühstück.
Inab, Idriss und Safa starrten mich daraufhin entgeistert an. Sie waren sich wohl nicht sicher, ob ich auch sie dazuzählte.
»Keine Sorge, ich meine euch alle«, versicherte ich ihnen. »Morgen
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