Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
und gerne auch mal bei drei verschiedenen Stewardessen gleichzeitig einen neuen Kopfhörer in Auftrag geben.
Unter den Kollegen gab es offen bekennende Kurz- oder Langstreckenfans. Ich hingegen versuchte, mich einfach auf die positiven Seiten des Berufes zu konzentrieren. Und dazu reichte an jenem Abend die Tatsache, dass ich es tatsächlich von den einsamen Nächten mit dem Dobermann bis nach Manhattan vor einen Fernseher geschafft hatte, auf dem die Ellen DeGeneres-Show lief.
Dank zugiger Einfachverglasung wachte ich am nächsten Morgen von nervigen Polizeisirenen auf. Auf meiner linken Wange prangte der tiefe Abdruck meiner Fliegerspange, da ich noch in Uniform eingeschlafen war, und meine Locken kräuselten sich wie Korkenzieher, denn die Feuchtigkeit des tief unter mir liegenden Hudson hatte sich in jede Pore des Zimmers gefressen. Und auch in meine neue Wellblechhaarspange, die großflächigen Rost aufwies. Das nächste Mal kaufe ich für das Geld doch lieber noch eine dritte Merinofeinwollschafjacke oder am besten gleich ein echtes Schaf aus Wellington.
Entsetzt stellte ich fest, dass seit dem Abend unserer Ankunft bereits zwölf kostbare Stunden vergangen waren und mir damit nur noch genau viereinhalb freie Stunden verblieben, bis es an den Rückflug ging. Die Kehrseite von Nichtflughafenhotels ist nämlich, dass man je nach Verkehrslage noch zwischen ein und zwei Stunden ins zentral gelegene Hotel fahren muss, was die Aufenthaltsdauer unerfreulich mindert.
In Windeseile streifte ich mir die Uniform ab, stellte die Klimaanlage an, duschte, zog Rock und T-Shirt aus meinem Koffer, der für alle Eventualitäten gepackt war, und stürzte ins Freie.
Am Anfang denkt man echt noch, man ginge in Mailand in die Scala, in Paris ins Moulin Rouge und reite an der Copacabana entlang, was selbstverständlich so viele verschiedene Outfits erfordert, wie Mattel sie sonst für Themen-Barbies entwirft.
Nachdem ich die nach künstlichen Zimtschnecken, flavourisiertem Kaffee und Abgasen riechende Luft eingeatmet hatte, war ich wie beseelt von einem Gedanken: Teil dieser pulsierenden Stadt zu werden. Und etwas zu Essen finden.
Grobe Fahrlässigkeit, sage ich heute.
Meine erste Amtshandlung war dann auch der überstürzte Kauf einiger Rollen Bin-Laden-Klopapier, von dem ich mir sicher war, dass es im europäischen Einzelhandel schwer erhältlich ist. Die verbleibenden Stunden würden viel zu schnell vorbeigehen in einer Stadt voll solcher Wunder, und ich wollte ja auch kulturell so viel wie möglich mitnehmen.
Also ließ ich mich zwischen dem Museum of Modern Art, Ground Zero und einem zauberhaften Restaurant treiben, das bis dreizehn Uhr ein fulminantes Frühstück anbot: Blueberry pancakes , scrambled eggs mit hash browns , homemade original swiss Bircher Muesli und freshly squeezed orange juice aus Gläsern, was man in Zusammenhang mit den USA durchaus hervorheben muss.
Ich war frei, ich war spontan, ich war in New York City!
Ich persönlich finde ja Menschen, die im Voraus planen, sterbenslangweilig. So Leute, die Frühbuchertarife nutzen, jedes Jahr zur selben Zeit mit denselben Freunden in den Skiurlaub nach Leutasch fahren oder einen Job anstreben, bei dem man im Vorstellungsgespräch gefragt wird: »Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?«
Den würde ich im Leben nicht antreten. Da kann man nämlich davon ausgehen, dass man genau zehn Jahre später noch auf derselben Etage des Unternehmens arbeitet, in der einem diese Frage gestellt worden ist. Eine Arbeitsatmosphäre wie in Stromberg , wo der Filterkaffee schon durchläuft, wenn er im Trenchcoat ins Büro kommt und die Versetzung nach Finsdorf droht.
Mein kulinarisches Sightseeing rundete ich mit einem Strawberry Frappuccino mit extra whipped cream ab und besorgte mir die New York Times, mit der ich ein bisschen herumsaß – ohne sie zu lesen. Mein politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Vokabular war damals noch ein wenig schwach, und es ging ja vor allem um das Feeling.
Schnell wurde es dann auch Zeit zum Hotel zurückzukehren; New York ist wirklich eines der kürzesten Layover bei Skyline. Wenn man am Ankunftstag spätnachmittags wieder in München aufwacht, denkt man, alles war nur ein Traum.
Und dann passierte der Alptraum.
Minuten später fuchtelte ich mit einer kleinen weißen Karte, nämlich meinem Zimmerschlüssel, panisch vor einem Cop herum.
»Marriott!«, stammelte ich mit zitternder Stimme. Das war das Einzige, was ich mir gemerkt
Weitere Kostenlose Bücher