Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
Empathie keimt in meiner Peinigerin auf: »You cold?« , fragt sie mich, und noch vor Minuten hätte ich diese Frage genutzt, um meine Behandlung um einen Ganzkörper-Wrap aus Pad-Thai-Badetüchern zu erweitern, aber jetzt will ich nur noch so schnell wie möglich weg. Das will ich ihr aber nicht sagen, denn mich plagen auch Schuldgefühle.
Die armen Asiatinnen hier haben gegen einen Mindestlohn so viel Arbeit mit mir, und ich liege nur faul herum und ärgere mich über ein paar Eiszapfen an meiner Ferse. Also versuche ich, mich mit der Aussicht auf das makellose Endergebnis über Wasser zu halten.
Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren und sehe weit und breit kein Härchen mehr, abgesehen von der sehr akkuraten »Landebahn«, auf die Mai-Ling bestanden hatte.
Das Hirschgeweih wechselt von Blau auf Lila.
Noch immer tagt vorm Vorhang hörbar Mai-Lings Gefolgschaft, als endlich eine beeindruckende asiatische Variante von Eva Mendes mit einer schwarzen Pinzette durch den Türrahmen weht. Binnen drei Sekunden hat sie die letzten Schwachstellen des Gesamtkunstwerks aufgespürt und mit steinerner Miene eilt sie wieder hinaus. Ihre Waxing-Azubis lässt sie wortlos und beschämt zurück.
Mai-Ling knipst den Hirschen aus, und ich bin erlöst.
Ich will gerade schwungvoll aufstehen, cancele in Gedanken die Maniküre, sehe mich euphorisch mit Trink- (vielmehr Lösegeld) um mich werfen, den Goldfischen zuwinken und wähne mich schon in der warmen Luft draußen vor der Tür – als ihre flache Hand abermals auf meiner Brust landet und sie mich zurück auf die unbequeme Liege drückt. Perplex lasse ich es geschehen.
Mai-Lings lange schwarze Haare landen in meinem Gesicht, und ich starre in ihre sorgenvoll geweiteten Pupillen. Haben ein paar Mikrowellen-Streptokokken zusammen mit der Klimaanlage in so kurzer Zeit Pusteln oder sichtbar Schlimmeres auf meiner Stirn hervorgerufen?
»You need Eyebrow-Waxing!« , diagnostiziert sie messerscharf.
Ich lächele erleichtert, bereit, meine Flucht mit allen Mitteln fortzusetzen.
»Oh no, thank you, they are fine!« , blocke ich ab.
Leider scheint das nicht der asiatischen StVO zu genügen. Unbeeindruckt hebt Mai-Ling ihre Alupinzette auf Augenhöhe. Vielleicht muss sie sich die schwarze erst verdienen? Aber gefälligst nicht an mir und schon gar nicht mehr heute!
Nicht dumm, bemerkt sie meine schlechte Laune und wechselt die Taktik. Mit großen Kulleraugen legt sie mir die Hände besänftigend auf die Schultern und flötet:
»You wanna go so soon? You beautiful! Why not let me make you more beautiful? You my friend!«
Ich vermute, dass sie nicht mit mir spricht, sondern mit meiner Crewcard.
»You said, you flight attendant, right?«
Ich nicke.
»So you must be perfect!« , schlussfolgert meine neue Freundin.
Ein starkes Argument, mal wieder hängt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Luftfahrt von meinem äußeren Erscheinungsbild ab.
Noch während ich darüber nachdenke, ob ich auf dieses Image pfeife, knipst Mai-Ling entschlossen den bunten Elfender wieder an.
Ich lasse weitere zwanzig Minuten Zupfen und Ziepen über mich ergehen und erlaube mir lediglich gegen Ende eine Frage: »Do I still have eyebrows?« , die durchaus ernst gemeint ist, aber nur mit vertrautem thailändischem Gekicher abgetan wird.
Als ich endlich wieder vor Kate’s Salon in der wohltuenden feuchten Hitze der Khao San Road stehe und meine Beine wieder spüre, dämmert es längst. Erschöpft und durstig lasse ich mich mit einer Dose Cola auf den staubigen Stufen eines Hostels nieder und wage vorsichtig einen Blick in das spiegelnde Glas der Eingangstür.
Ich traue meinen Augen kaum – ich sehe aus wie eine Kennedy! Mai-Ling hat hervorragende Arbeit geleistet!
Als ich mich einen Tag später zum Rückflug in der Lobby einfinde, ernte ich weitere Reaktionen auf mein wirklich leicht verändert wirkendes Gesicht.
»Wow, was hast du gemacht?«, »Irgendwie anders, aber super!«, resümieren meine weiblichen Kolleginnen.
Ich beschließe, meinen im Selbstversuch erprobten Tipp an die SkyGuide zu mailen, so dass die Mai-Lings schon bald zu Spitzenverdienern werden können.
Das Ergebnis dieses Nachmittags hält wesentlich länger an als meine leichten Erfrierungen an den Extremitäten, und ich muss zugeben, diese Erfahrung hat sogar mein Brauen-Trauma kuriert.
Wieder in Deutschland angekommen, entdecke ich verblüfft einen kleinen Stapel Visitenkarten von »Candy«, den sie mir in meine Handtasche
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