Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
»Doris … ach wirklich, du bist Stewardess?« vorgestellt hat.
Ich stehe kurz vor einer zwischenmenschlichen Kernschmelze. Ohne Zweifel wird die nächste Anfrage bezüglich eines ausländischen Mitbringsels einen Super-GAU auslösen, von dem sich das Stiefmütterchenbeet und die Gäste meiner Schwester weniger schnell erholen, als ich mich vom drohenden Zusammenbruch unter der Gesamtlast beim Zoll.
Es gibt nur einen Weg, einem Großauftrag zu entgehen, ohne erneut mein staubiges Monopoly-Versteck aufsuchen zu müssen. Ich muss meine ganze Konzentration auf die Geschädigte lenken und sie dazu bringen, mein zollfreies Budget für den nächsten Flug derart auszureizen, dass sonstige Bestellungen nicht möglich sind. Immerhin kann ich dann alles zielgerichtet bei einer Person abliefern und habe zugleich meine karmischen Schulden beglichen, die meine möglicherweise leicht verlangsamte Reaktion vor ihrem Sturz verursacht hat.
Theoretisch könnten zwar alle etwas bei mir bestellen, aber erfahrungsgemäß ist das iPad dann doch nicht mehr so dringend, sobald die Menschen das Wort »Zoll« hören. In der Regel schlägt mir dann ein entrüstetes: »Aber du bist doch Stewardess!« entgegen.
Und ich entgegne dann zur allgemeinen Überraschung:
»Ja, aber auch und gerade wir unterliegen den Zollbestimmungen. Flugpersonal darf nur ein Viertel dessen zollfrei einführen, was ein normaler Tourist steuerfrei importieren darf.«
Dann werden die meisten Bittsteller mir gegenüber meist sehr unfreundlich und ziehen ihre Wünsche schnippisch zurück, als wäre ich ein lästiger Händler am tunesischen Strand, der versucht hat, sie übers Ohr zu hauen.
»Da kann ich ja auch gleich selber in den Apple Store gehen!«
Genau. Denn wo bitte liegt der Nutzen eines iPod aus San Francisco gegenüber einem in München gekauften? Ein Preisvorteil ergibt sich da aufgrund von hinzukommender Tax, Zoll und Wechselkursschwankungen nämlich kaum. Zumal für einen Japaner wiederum das Erstehen eines solchen in München spannender ist als in Tokio.
Wenn man bedenkt, dass jedes dieser technischen Wunderwerke an einem Standort gefertigt wird, an dem sich tapfere Arbeiter aus dem Fenster stürzen, weil die angestrebte Menge pro Quartal nicht erreicht wird, erscheint mir der Besitz dieser Errungenschaft ohnehin sehr zweifelhaft.
Und ein anderer Teil sieht mich dann an, als wäre ich nicht ganz für voll zu nehmen und sagt grinsend: »Ach komm, da kannst du doch einfach so tun, als wäre das dein Laptop, den du schon ganz lange hast.«
An dieser Antwort sorgen immer wieder verschiedene Aspekte dafür, dass sich ein unschöner Nesselausschlag an meiner rechten Oberlippe bildet:
1. Mir ist unbegreiflich, dass Menschen ganz entspannt von mir verlangen, die Kündigung meiner Festanstellung zu riskieren.
2. Der Zoll ist eine Institution, die sich hauptberuflich mit dieser Thematik befasst. Es ist ein Irrglaube, man könne mir billige Tricks zu dessen Überlistung vorschlagen, wie zum Beispiel zu behaupten, ein Laptop mit fortlaufender Seriennummer ohne Software gehöre mir schon seit der Vereidigung des Altkanzlers.
3. Entferne und vernichte ich die Originalverpackung, Garantie und Gebrauchsanweisung sowie den Kassenbon eines Mitbringsels, um es als meines auszugeben, steht der wahre Besitzer dumm da, falls sich herausstellt, dass genau dieser iPod in Taiwan vom Fließband gefallen und defekt ist.
»Was hättest du denn gerne?«, frage ich Jessica, und ein Glanz huscht in ihre konsumsüchtigen Augen. Auch ihre konsequent vorwurfsvolle Miene hellt sich schlagartig auf, sie hebt trotz Drehschwindel mühelos eine Pobacke von der Teakholzliege und holt einen Zettel aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. Dann beginnt sie mit einer kurzen Ansprache, von der ich nur fetzenhaft Stichpunkte wie »eBook«, »Größe achtunddreißig – musst du gucken, was das in US-Größe ist« und »Nur wenn noch Zeit ist, Harvard Universität-Kaffeebecher und -Schlüsselanhänger« wahrnehme.
Mich mit Bestellungen zu überhäufen und sich dann wohlwollenderweise bereitzuerklären, auf das ein oder andere zugunsten meiner Entlastung zu verzichten, ist eine der manipulativen Taktiken, denen ich am häufigsten ausgeliefert bin.
So sehr mich ihre unverkennbare Besserung freut, frage ich mich doch, warum Jessica einen Zettel in der Hosentasche hat, der schon vor dem Sturz existiert haben muss und spezifisch auf Massachusetts abgestimmte Wünsche enthält. Mein Schwesterherz
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