Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
twentyfourseven !«
Also, außer bei Jack Bauer und dem Elvis-Channel, broadcasting live from Graceland , ist da meiner Erfahrung nach gar nichts twentyfourseven . Selbst in Metropolen wie San Francisco stehst du um 21:00 Uhr hektisch winkend vor der Glastür von Marcus Niemann , weil du dringend eine Night Repair-Maske brauchst. Der einzig nennenswerte Unterschied des US-Einzelhandels auf dem Weg in den Feierabend, gegenüber einer bayerischen Backwarenfiliale, ist, dass man nicht mit gequälter Miene angeguckt wird, wenn man um 17:55 Uhr noch ein Plunderteilchen und einen Milchkaffee dazu bestellt.
Außerdem verlasse ich doch nicht gegen Mitternacht mein kuscheliges, sicheres Hotelzimmer, um mich in einer Jetlag-Kamikaze-Aktion durch gewisse Viertel mit Pennern, Junkies und Serienkillern hindurch zu irgendeinem Supermarkt zu kämpfen, der vorgeblich als Einziger diese einen coolen Chips führt. Nur damit ich dann zurück in Deutschland erfahre: »Ach du, ich hatte mich vertan, die gab’s in unserem Urlaub auf Amrum.«
Aber das kann ich so nicht sagen, sonst denkt mein Umfeld einmal mehr, in meinem Kempinski durchseuchten Alltag wäre kein Platz für die Sorgen und Nöte anderer berufstätiger Menschen mit Schufa-Auskunft und Kaufkraft. Und schon gar nicht kann ich das schwache Opfer meines Übergriffs (beziehungsweise meiner unterlassenen Hilfeleistung) damit konfrontieren.
Obwohl Jessica aber auch irgendwie selbst schuld daran ist, dass sie jetzt so blass vor mir sitzt, mit einem kühlenden Esslöffel an der Stirn.
Es hatte alles sehr harmlos begonnen, und ich freute mich darauf, die großartigen Salate und Kuchen meiner Schwester zu futtern, die es zu solchen Anlässen gibt, und dabei auf ihrer Terrasse in hochwertigen Gartenmöbeln herumzusitzen und über das diesjährige Preisniveau von Grillkohle und Zitronella-Fackeln zu sprechen.
Doch leider kam ich nicht einmal bis zur Terrassentür.
Beim ersten Glas Begrüßungssekt an der Garderobe blickte ich bereits in rund zehn mir überwiegend fremde Gesichter und Kuchenmünder, die begeistert fragten:
»Ach, und du bist die Stewardess?«
Mit der anschließenden klassischen Tirade aus: »Hast du da auch Aufenthalt?«, »Trinken die Leute wirklich alle Tomatensaft?« und vor allem dem allseits beliebten: »Cool, dann kannst du mir ja aus den USA was mitbringen …«
Dennoch war es mir gelungen, mich wie eine Bienenkönigin mit einem schnell wachsenden summenden Schwarm bis zur Donauwelle vorzupirschen, bevor ich endgültig genug hatte, als ich gebeten wurde, aus Servietten eine Artischocke zu falten, wie sie in der First Class als Tischdekoration Verwendung findet.
Mit einem »Ich hole mal noch Cola«, verschwand ich zur Verblüffung aller in den Keller. Bei den Partyvorräten angelangt, verharrte ich regungslos und unentschlossen im Halbdunkel unter der Wendeltreppe, in der beruhigenden Stille aus Gästeklo, Tennisschlägern und einem alten Billy-Regal mit verstaubten Brettspielen, auf dem ich meinen heißgeliebten Teddy aus Kindertagen entdeckte, den ich glaubte, an meinem vierten Geburtstag in einer Eisdiele in Castrop-Rauxel liegen gelassen zu haben. Ich identifizierte ihn einwandfrei an dem angekokelten Ohr, das er hat, seit ich dachte, ihm sei kalt und ihn am Adventskranz aufgewärmt hatte.
Jessica hatte sich von diesem billigen Fluchtversuch leider nicht abschütteln lassen, war mir kurzerhand gefolgt und rief hartnäckig-fröhlich ins Dunkel:
»Charlotte, wo bist du? Ich helfe dir tragen! Wann sagtest du, fliegst du wieder in die USA?«
Statt zu antworten, entschied ich mich für eine spontane Ganzkörpertarnung hinter der Weihnachtskrippe, statt ihr zuzurufen: »Vorsicht, Stufe!«
Kurz vor dem Anwerfen des Grills sitzt Jessica also nun zwischen Kalter Schnauze und Toast Hawaii in dem eigentlich für mich reservierten Gartenmöbel.
»Ist dir immer noch schwindelig?«
Zehn besorgte Augenpaare richten sich auf ihre Beule, die trotz intensiver Versorgung mit tiefgekühltem Iglo-Rahmspinat, im Sekundentakt weiter anschwillt.
Caroline ist die Erste, die sich wieder mir zuwendet:
»Gibt es in den USA wirklich frei verkäufliche Medikamente im Supermarkt?«
Interessiert fixieren die Schaulustigen nun alle wieder mich und Mister Teddy, der sicher verwahrt unter meinem Arm klemmt.
»Oh ja, kannst du mir vielleicht bitte Carmex mitbringen, wenn du wieder da bist? Das ist so ein irre guter Lip-Balm«, stimmt ein junges Mädchen mit ein, die sich als
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