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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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und runzelte die Stirn, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern. Erneut drohte ein Tränenschwall über seine Wangen zu rinnen, doch verlor er an Schwung, als fehle es dem Häuptling an der nötigen Energie, um sich zugleich erinnern und weinen zu können.
    »Gabriel, mein Sohn«, sagte er und schaute bekümmert aus dem Fenster ins dunkle Lupa. »Dieses Land hat einmal mein Herz erfreut. Hast du das gewusst?«
    »Nein, Häuptling.«
    »Dann weißt du es jetzt.«
    »Ja, Häuptling.«
    »Ich weiß nicht, warum die Götter meiner Vorfahren dem Militär erlaubt haben, die Macht an die Zivilisten abzugeben … Wenn das Militär noch das Sagen hätte, hätte es diesen Scharia-Krieg niemals gegeben. Wir königlichen Väter waren immer die Wächter des Volksmandats, und es war üblich, dass wir als Vertreter unserer Stämme zum Sitz der Regierung zogen. Aber jetzt werden wir behandelt, als wären wir nicht mehr wichtig.« Zum ersten Mal kamen dem Häuptling die Tränen. »Ich weiß noch, wie General Sani Abacha uns königlichen Vätern fünf Prozent der Steuern aus dem Herrschaftsgebiet dafür zusicherte, dass wir seinem Plan, dieses Land in Ewigkeit zu regieren, entschlossen zustimmten. Er versprach sogar jedem
von uns ein Haus in der Hauptstadt. Und er schenkte uns Autos, gute Autos …; ich sitze bloß in diesem Luxusbus, weil ich meine Autos erst mal versteckt habe. Weißt du warum?«
    »Nein, Häuptling.«
    »Weil ich fürchte, dass diese neuen Demokraten uns königliche Väter auffordern könnten, sie zurückzugeben. Diese Demokratie vernichtet das Land. Hab ich recht?«
    »Natürlich, Häuptling.«
    Jubril hatte sich zu ihm vorgebeugt und schenkte ihm nun seine volle Aufmerksamkeit. Je länger der Häuptling sprach, desto stärker war der Junge davon überzeugt, dass dieser Mann ihn beschützen könnte, nicht nur hier im Bus, sondern auch dann, wenn sie ihr Ziel im Delta erreicht hatten. Jubril gefiel es, dass ihm der Häuptling sein Herz öffnete; und er fand, auf ihn war größerer Verlass als auf all die übrigen Passagiere.
    Mit den Fingern berührte er den Saum seiner Kleider, den weichen Cordstoff. Drüben, im Norden, wäre es undenkbar gewesen, einem Emir so nah zu kommen. Jubril konnte sich nicht einmal vorstellen, mit einem Emir im selben Gefährt zu sitzen oder sich zu ihm zu gesellen, um von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu reden; noch viel weniger vermochte er sich vorzustellen, dass ihm eine solch wichtige Persönlichkeit die Enttäuschungen seines Lebens anvertraute. Jubril erinnerte sich an die Gelegenheiten, bei denen er einen Emir gesehen hatte. Er hatte stets weit hinten in der Menge gestanden, stumm und höflich. Ja, er konnte nicht einmal damit prahlen, einem Emir auch nur die Hand gegeben zu haben oder ihm so nahe gewesen zu sein, dass er seinen Turban hätte berühren können, wie er nun die Kleider des Häuptlings berührte.
    Es bereitete ihm ein schlechtes Gewissen, dass er ihm seinen Platz nicht schon viel früher überlassen hatte, dass er sich mit Häuptling Ukongo gestritten und die Polizei gebeten hatte, Druck auf ihn auszuüben. Daheim, in Khamfi, galt absoluter Gehorsam gegenüber dem Emir als erster Schritt zur Weis
heit; und das Wort des Emirs war in seinem Reich Gesetz. Jubril erinnerte sich an die Sirenen und die Wagenkolonnen der Gouverneure, gar der Präsidenten, die dem Emir von Khamfi, Alhaji Muhammad Kabir Jadodo, Höflichkeitsbesuche abstatten; er erinnerte sich an die Politiker, die in Khamfi kein öffentliches Amt anstrebten, ohne nicht zuvor den Segen des Emirs eingeholt zu haben. Vor allem aber dachte er an den schönen, imposanten Palast, an die vielen Lohnarbeiter und an die Wohltätigkeiten, die Alhaji Jadodo der unzählbaren Schar der zu ihm strömenden talakawas gewährte. Er dachte daran, wie diese talakawas sich gegen Menschenrechtsaktivisten gewandt hatten, die es wagten, dem Emir über die Herkunft seines Reichtums unangenehme Fragen zu stellen.
    »Zum Beispiel«, flüsterte der alte Mann, »war es völlig unnötig, dass du mir bloß wegen dieses Sitzplatzes einen solchen Ärger gemacht hast.«
    »Tut mir leid, Häuptling.«
    »Und das nur wegen eines Fahrscheins.«
    »Tut mir wirklich sehr leid, Häuptling.« Jubril fühlte sich dermaßen schlecht, dass er den Schein aus seiner Tasche fischte und dem alten Mann anbot. »Behalten Sie ihn. Ich will ihn nicht mehr … Tut mir leid, Häuptling.«
    Der alte Mann nahm ihn, steckte ihn in die Tasche und nickte.

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