Sag, dass du eine von ihnen bist
»Guter Junge. Verstehst du, wir wissen, was diesem Land nutzt. Wir, die Emire, Obas, Häuptlinge, wir haben den Militärregierungen von der Scharia abgeraten! Allein deshalb ist es bei uns all die Jahre nicht dazu gekommen.« Er schlug sich mehrmals auf die Brust und legte seinen Ausweis auf Jubrils Bein.
Jubril nahm ihn in die Hand. »Gutes Foto … sehr schön, Häuptling.«
Der alte Mann lächelte. »Ganz richtig, mein Sohn. Wir haben dieses Land gegen den Irrsinn der Demokratie zusammengehalten!« Dann wurde er ernst und begann, der Presse Vorhaltungen zu machen. »Die Zeitungen behaupten, die Generäle,
ob von Norden oder Süden, seien wie Ratten aus der Hölle und führten seit Jahrzehnten Krieg gegen die Zentralbanken. Deshalb bräuchten wir gewählte Führer, die wir zur Verantwortung ziehen können. Dabei ist die Presse schuld an der Demokratie in unserem Land. Es heißt, hochdekorierte Militärs schickten ihre Kinder auf Universitäten in Europa und Amerika, während die Kinder der einfachen Leute in unseren elenden Universitäten festsitzen. Es heißt sogar, die Kinder unserer muslimischen Soldaten würden Alkohol trinken, Schweinefleisch essen und es im Land des weißen Mannes mit Frauen treiben, dabei fordern ihre Eltern daheim die Scharia. Es heißt, obwohl die Generäle im Norden alles Geld gestohlen und das Land schon so lang regiert haben, lebten in ihrer Region immer noch vor allem armselige Kuhhirten. Das Schlimmste aber ist, Gabriel, dass es heißt, wir königlichen Väter unterdrückten unser Volk!« Er schwieg einen Moment und schluckte schwer. »Wissen diese neuen Demokraten und diese Zeitungsmenschen denn nicht, dass das englische Volk großen Respekt für die Monarchie hegt? Uns machen sie Vorwürfe … trotz allem, was wir für das Land getan haben …« Er verstummte, allein durch die Erinnerung an diese Kritik von Schmerz überwältigt. Jubril nickte mitfühlend.
»Die Generäle haben uns sehr ernst genommen … uns, uns!«, sagte der Häuptling. »Eine enge, herzliche Beziehung … Sie haben uns zum Beispiel erklärt, warum es richtig ist, dass wir unsere Truppen nach Liberia und Sierra Leone schicken, warum unsere Söhne dort für die Demokratie sterben mussten.«
»Unsere Soldaten sind in Sierra Leone?«, fragte Jubril.
»Ähm … Gabriel, vergiss nicht, ›Häuptling‹ anzuhängen, wenn du mich was fragst.«
»Oh, sorry, Häuptling, nein, Häuptling, natürlich.«
»Ja, so ist's besser … Und hör auf, beim Reden eine Hand vor den Mund zu halten oder an den Fingern zu nuckeln. Das ist nicht nett.«
»Tut mir leid, Häuptling. Ich hab mir seit Tagen nicht mehr die Zähne geputzt und stinke bestimmt ausm Mund.«
»Egal, wie gesagt, wären unsere Soldaten nicht gewesen, gäbe es diese Länder nicht mehr! Wir und die Generäle haben uns mit anderen westafrikanischen Ländern zur ECOMOG zusammengeschlossen …«
»He, Häuptling«, unterbrach ihn Monica flüsternd und zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn, »jetzt geben Sie mal nicht so an. Wann hätte denn General Babangida die Macht mit Ihnen geteilt?«
»Davon verstehst du nichts, Frau«, erwiderte der Häuptling.
»Quatsch … davon versteh ich genug«, beharrte sie. »Dieser General, der ist zu vernarrt in die Macht. Hätte er nicht immer wieder die Machtübergabe rausgezögert und die Wahl von 1993 abgesetzt, dann wär Abacha nicht mehr unser Präsident … Immer die gleichen Leute. Heuschreckenjahre. Der Mann, der benutzt Sie nur. Der teilt seine Macht nicht mit 'nem Häuptling.«
»Stimmt, Frau, es war nicht genauso, wie ich es gesagt habe. Ich wollte ja auch nur deutlich machen, dass wir vom Militär respektiert wurden. Darf ich nun weiterreden, Madame Rechtsanwältin?«
»Tischen Sie dem Jungen nur keine Lügen auf, Häuptling.«
Der Häuptling wandte sich wieder an Jubril, dem Monicas Einmischung überhaupt nicht gefallen hatte.
»Das Wichtigste ist, Gabriel, dass wir den Rebellen in Sierra Leone und Liberia eine Lektion erteilt haben. Es hat uns zwar eine Menge Soldatenleben gekostet, aber es war für eine gute Sache!«
»Wie viele sind denn im Kampf gestorben, Häuptling?«
»Diese Information ist geheim, ist nicht für jeden, klar? Eine Eidechse mag einem Gespräch lauschen, doch darf sie deshalb noch lange nicht reden. Ich meine, wer bist du denn, dass du
wissen willst, wie viele Soldaten im Kampf gestorben sind? Gehören die Regierungsangelegenheiten zu den Angelegenheiten deines Vaters, dass
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